Der Geheime Orden
erblickte schließlich ein vertrautes Gesicht aus meinem Kurs in Zellbiologie. Er war von drei Privatschultypen umringt, die hingerissen an seinen Lippen hingen. Ich wusste, dass er wieder einen seiner Witze erzählte, denn sie hatten diesen Gesichtsausdruck, als würden sie gleich platzen. Binky Grunwald war der witzigste Typ, dem ich in Harvard bisher begegnet war, und er liebte es, Hof zu halten. Trotz seiner gerade mal einsfünfzig Körpergröße und seiner Tonnenbrust besaß Binky eine Präsenz, die einen ganzen Raum ausfüllen konnte. Er war ein junger Danny DeVito. Eines Abends hatte er während eines Seminars einen Witz nach dem anderen abgefeuert, sodass die Sitzung eine halbe Stunde früher beendet werden musste, weil der Dozent vor Lachen nicht mehr weiter unterrichten konnte.
»Hallo, Binky, wie geht’s?«, sagte ich und wartete darauf, dass er eine Atempause einlegte.
»Spencer, alles fit?«, sagte er. »Ich wusste gar nicht, dass du heute auch hier bist. Warum hast du mir gestern Abend nichts davon gesagt?«
»Ich war so gelangweilt von all diesen abgefahrenen Diagrammen, dass ich nur noch Fluchtpläne geschmiedet habe.«
»Schon die verdammte Fragestellung hatte keiner verstanden«, sagte Binky. »Es war wie eine chinesische Alarmübung. Oh, das hier sind übrigens Landon, Nestor und Duke.« Binky zeigte auf die Jungs, die um ihn herumstanden. Allesamt geklonte Privatschulabsolventen mit beigefarbenen, zu kurzen Kordsamthosen, Wildlederschuhen und perfekt gestutzten Haaren. Wir gaben uns die Hände. Ich erkannte Landon wieder, der größte von den dreien. Er spielte Lacrosse in der Hochschulmannschaft.
»Landon, hab ich dich nicht schon mal im Kraftraum des ITT gesehen?«, fragte ich. »Du trainierst zusammen mit so einem kleinen rothaarigen Typen.«
»Genau. Pint Stevenson«, sagte Landon. »Er ist der Steuermann unserer Rudermannschaft. Der Trainer tobt sich in diesem Monat an uns aus. Er lässt uns vor jedem Training laufen und Gewichte stemmen. Seine Alte lässt ihn diesen Monat wohl nicht ran, also müssen wir herhalten. Du bist in der Basketballmannschaft, stimmt’s?«
»Genau, wir haben vor ein paar Wochen mit dem Training angefangen«, sagte ich. »Beasley schindet uns wie die Hunde. Ihre Frauen müssen sich verschworen haben.«
Wir fünf redeten über Sport, Mädchen und Partys. Das Gespräch verlief locker, und zum ersten Mal, seit ich das Haus betreten hatte, fühlte ich mich entspannt. Alle waren selbstsicher, Harvard-selbstsicher. Sie wussten, dass der Erfolg draußen in der wirklichen Welt keine Frage des Ob war, sondern des Wo – nämlich dort, worauf sie ihre Anstrengungen selbst richten wollten. Ich war überrascht, wie sehr sich unsere Ansichten ähnelten und wie schnell wir eine gemeinsame Basis gefunden hatten. Duke wollte zur Bar, also bat er alle um ihre Bestellungen und fragte mich, ob ich ihn begleiten wolle.
Ich folgte ihm, während er schnurstracks an die Spitze der Warteschlange marschierte. »Janice, darf ich dir einen unserer Kandidaten vorstellen«, sagte er, als die beschäftigte Bartenderin sofort zu uns herüberkam und alle anderen ignorierte. »Sein Name ist Spencer. Ich nehme zwei Amstel Light, ein Sam Adams, ein Glas Rotwein und für Spencer, was immer er haben möchte.« Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass Duke ein Mitglied war, bis er »einer unserer Kandidaten« sagte.
»Guten Abend, Sir«, begrüßte mich Janice in einem irischen Singsang. »Schön, Sie kennen zu lernen. Was möchten Sie trinken?«
»Cola oder Pepsi wäre okay«, sagte ich.
Duke lachte. »Wir haben eine Bar mit den besten alkoholischen Getränken der Welt, und du möchtest eine Brause? Das soll wohl ein Witz sein.«
»Die Saison fängt bald an«, sagte ich. »Der Trainer wird mir die Hammelbeine lang ziehen, wenn ich morgen mit einem Kater zum Training erscheine. Er würde mich Kurzsprints laufen lassen, bis ich Blut huste.«
»Siehst du, deswegen habe ich jeglichem Sport abgeschworen, als ich noch ein Kind war«, sagte Duke. »Ich habe gesehen, wie meine älteren Brüder vom Training nach Hause kamen und ihnen die Zunge bis zum Boden aus dem Hals hing. Ihr ganzes Leben wurde von Wettkämpfen und Trainingsplänen bestimmt. Also habe ich mich bereits früh dafür entschieden, Schriftsteller zu werden. Da kann ich meinen Zeitplan selber bestimmen und jederzeit ein Glas Rotwein trinken, wenn ich will.«
»Guter Zug«, sagte ich. »Jedes Jahr um diese Zeit, nach dem fünften
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