Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
gehabt habe?«
Zum erstenmal seit einer Ewigkeit lachte Sheila laut. »Wieso sollten Sie auch – gerade wo Sie so trefflich mit Schnürsenkel und Tabaksbeutel umgehen können? Aber stecken Sie sie in den Rucksack; wer weiß, wozu wir sie noch brauchen. Und dann trinken Sie Ihre Milch.«
Er trank. »Wir sollten sehen, daß wir loskommen. Unser Freund kam den Pfad herauf, da nehmen wir die andere Richtung. Ein gutes Stück über das Hochmoor, und früher oder später finden wir einen Bach und folgen ihm ins Tal. Und unten gibt es mit etwas Glück auch einen Polizisten.«
»Ich bin für den Pfad.«
Evans hielt im Rucksackpacken inne. »Aber verstehen Sie denn nicht, Sie haben Informationen, die womöglich wertvoll sind. Es ist Ihre Pflicht, die sicher zu Ihrer eigenen Basis zu bringen.«
»Aber wir sind hier Gott weiß wo. Und die Zeit drängt: Sie sagen doch, wir sind schon den zweiten Tag hier. Ich bin für den Pfad.«
»Aber machen Sie sich unsere Lage klar! Zweihundert Millionen Menschen, alle auf dem Sprung, alle bereit, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen. Und Sie wollen da mitten hineinspazieren.«
»Das ist nicht ganz richtig, Dick. Ich bin selbst eine von den zweihundert Millionen …«
Dick Evans’ Lippen öffneten sich schon zum »Ich nicht«, aber er sagte es nicht.
»Für mich ist das nicht so einfach wie für Sie.«
Plötzlich war er ärgerlich. »Hören Sie, diese patriotischen Reden …« Er hielt inne und blickte den Pfad hinunter. Der Weg verschwand im Nebel, und wohin er sie führte, wußten sie beide nicht. Er runzelte die Stirn, reckte die Arme – reckte die Arme, als könne er selbst kaum glauben, daß er sie noch recken konnte. »Gut«, sagte er. »Dann kommen Sie.«
Vorsichtig machten sie sich den Pfad hinunter auf den Weg.
Kapitel 9
Sheila auf der Suche nach Schottland
»Das ist ein langer Weg«, sagte Sheila. »Dreimal sieben Meilen, meine ich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sporn und Herz bei solcher Entfernung wirklich eine eindeutige Stelle bestimmen.«
»Ach?« Evans blickte forschend in den Nebel. Steine Stimme, fand Sheila, klang ein wenig spöttisch.
»Wenn sie allerdings beide in der Ferne lägen …«
»Genau das.« Er nickte eifrig. »Die Meilen müssen Sie von Ihrem Standpunkt aus messen. Die Bucht liegt ein Stück fort und der felsige Sporn noch weiter in der Ferne. Mit den Anweisungen und einer sorgfältig studierten Landkarte können Sie einen ziemlich kleinen Bereich abstecken, in dem Sie nach dem einsamen Born suchen. Was meinen Sie, was ist das?«
»Kein Brunnen, denke ich. Eher eine Quelle; vielleicht der höchste Punkt, bis zu dem man einen Bach verfolgen kann. Und was wäre das Morgen? Eine Meile gen Morgen den Garten man sucht ?«
Evans antwortete nicht sogleich. Er hatte innegehalten und lauschte, und jetzt legte er sich nieder und horchte am Boden. »Nichts«, sagte er leise. »Wo liegt das Morgen, Sheila? Im Osten oder im Westen?«
»Im Osten, denke ich. Jeder neue Tag kommt von dort.«
»Aber die neue Welt liegt im Westen. Man könnte auch sagen, im Westen, gen Sonnenuntergang, liegt die Zukunft. Allerdings wohl ein Gedanke, auf den unsere Freunde nicht kämen. Die deutsche Philosophie – und davon gibt’s eine Menge – sucht ihre Inspirationen vom Ursprung stets im Osten.«
Vorsichtig kletterte Sheila um eine Spitzkehre des Weges. »Was für ein seltsamer Ort für ein Kapitel Spengler, Dick Evans.«
Sie lachten miteinander – aber beklommen, als habe die Entdeckung, daß sie dieses Stück Wissen gemeinsam hatten, ihnen nur vor Augen geführt, wie wenig sie sonst voneinander wußten. »Na, wenn wir erst mal die einsame Quelle haben«, meinte Evans mit praktischem Sinn, »dann ist es nur noch ein kurzes Stück, egal in welche Richtung.« Er legte ihr die Hand auf den Arm. »Rauch!«
Der Geruch – nur eine Andeutung, doch plötzlich und beißend – ließ sie zum Stehen kommen wie an einer Straßenkreuzung. Und im gleichen Augenblick teilte sich der Nebel, von einem gewaltigen Schwert entzweigeschlagen, und sogleich stoben die beiden Teile wie unter weiteren Hieben weiter auseinander, als wären sie gestellt, geschlagen und aufgerieben von einer unsichtbaren Kavallerie aus den Lüften. Die Veränderung ging mit dem Tempo einer guten Theatermaschinerie vonstatten; Sheila und Evans hatten sich gerade erst eine Deckung gesucht, als die letzten Schleier sich kräuselten und verschwanden und in der Ferne ein stattliches, wenn auch
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