Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
einsames Panorama enthüllten, im Vordergrund jedoch ein stilles, massiges Haus.
Ein sinistres Haus. Instinktiv duckte Sheila sich tiefer, drückte sich mit den Ellbogen tief in die Heide bis hinunter an die federnden Wurzeln. Nicht weil es mitten in ihrem unglaublichen Abenteuer so unerwartet vor ihnen aufgetaucht war, war das Haus ihr nicht geheuer; sinister eher im Sinne jener obskuren Erinnerungen, die dafür verantwortlich sind, daß man einen Menschen oder eine Sache auf den ersten Blick liebt oder haßt. Sie überlegte, woher das Gefühl kommen mochte. Ein großes Haus mit wuchtigem Turm, die Wände mit einem groben grauen Putz versehen, der Turm, der sich oben zu Türmchen und Zinnen verbreiterte, in grauem Stein. Was konnten es für Erinnerungen sein, die sie unbewußt damit verband? Die Häuser, die sich die Wohlhabenden in solchen entlegenen Gegenden des Landes als Jagdhütten bauten, hatten oft unterschwellig etwas Fremdartiges, Unpassendes. Und selbst von dieser Art von unechten Häusern war dasjenige, das sie hier vor sich sah, wiederum ein Imitat. Es war wie der Mann, den sie zuerst Burge und dann Dousterswivel genannt hatte – sinister, weil es nicht zum Ort, an dem es stand, gehörte. Das Haus stand in der Einöde, und nur ein einziger Weg, der sich in der Heide schwach abzeichnete, führte zu ihm. Ein solches Haus – wäre es nur eines unter den vielen fremden, irgendwie englischen Häusern – hätte doch einen Garten, Außenanlagen, eine Zufahrt. Oder es wäre kleiner und stünde an einem Bach oder Fluß. Das, soweit sie es sagen konnte, erklärte ihr Gefühl.
Dieses Haus war sinister, weil es an einem Ort stand, an den es nicht gehörte. Und das – auch wenn der vernünftige Dick Evans zu Recht das Wahnwitzige des ganzen Unternehmens tadelte – war der Grund, weswegen sie Dousterswivel Widerstand leisten mußte, sie persönlich, hier und jetzt. Ein ausländischer Offizier, der ironisch die Hacken zusammenschlug, wenn er sich auf einem schottischen Bahnhof verabschiedete, der gehörte ganz entschieden nicht an diesen Ort. Die Dummheit der Regierungen, der Starrsinn von Herrschern, zweihundert Millionen Menschen, die sie gewähren ließen und sich dadurch mitschuldig machten – all das war nur der große, komplizierte Hintergrund, vor dem es hier in einem Fall zu handeln galt, der klar und eindeutig genug war. Die Verschwörung, auf die sie auf der Forth-Brücke gestoßen war, mußte zerschlagen werden, wenn ein solches Zerschlagen möglich war. Denn es war eine Bedrohung für ihr Land, für den Boden, auf dem sie in diesem Augenblick lag. Und sie drehte sich um und flüsterte: »Das sind sie, Dick. Ich spüre es.«
Er nickte, als könne, wenn sie es sagte, kein Zweifel bestehen. Sein Blick war nicht auf das Haus gerichtet, sondern suchte die ganze Umgebung ab, die der Nebel enthüllt hatte. Sie mußten, seit sie von der Kate aufgebrochen waren, ein gutes Stück talwärts gegangen sein, und aus dieser Perspektive wirkten auch die Berge nicht mehr so hoch, sondern waren nur noch ein blauer Saum am Horizont, der sich kaum vom noch immer grauen, bewölkten Himmel abhob. Kein einziges Schaf sah oder hörte man; kein Moorhuhn, kein Fasan war bei ihrem Marsch aufgeflogen, dachte Sheila nun, nicht einmal ein Kiebitz rief über die große Heidefläche, in deren Mittelpunkt das Haus vor ihnen lag. Alles war einsam. Und sie mußte an den Mann denken – »ein Schäfer wie aus dem Bilderbuch«, hatte Dick gesagt –, der durch diese Einsamkeit zu ihrem Gefängnis heraufgekommen war. Diese Leute waren tüchtige Leute, das stand fest. Sie sah Dicks finstere Miene. Vielleicht war gerade das für ihn die Herausforderung: eine Tüchtigkeit zu bezwingen, die den Irrsinn zum Gefährten hatte.
Immer wieder wanderte sein Blick von der Stelle, an der sie sich verbargen, zum östlichen Horizont. Vielleicht – dachte sie, beunruhigt – war er, ganz Kavalier, auch nur um ihre Sicherheit besorgt. Dann würde er sich durch nichts davon abbringen lassen. Die Art von jungem Mann war er. Aber sie hätte doch gewünscht, daß er etwas sagte.
Er schloß seine Musterung des Geländes ab und schien sehr zufrieden. Als er schließlich sprach, flüsterte er: »Was für ein Glück es ist zu leben.«
Sie war verblüfft. »Ja, ich glaube schon.«
Er schüttelte den Kopf, als sei das Rätsel zu groß für ihn. Dann sprach er hastig weiter. »Es ist ein großes Haus – könnte mir vorstellen, daß da ziemlich viele von
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