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Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Titel: Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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ferne Erinnerung an ein altes engl i sches Volkslied in mir weckt. Als ich näher komme, schaut sie hoch.
    »Ist mein Püppchen nicht niedlich?«
    »Du kannst mich sehen?«, frage ich.
    Sie nickt und beginnt wieder, mit ihren Fingern das Haar der Puppe zu kämmen. »Sie sucht dich.«
    »Wer?«
    »Mary.«
    »Mary? Was für eine Mary?«
    »Sie hat mich geschickt, damit ich dich finde. Aber wir müssen vorsichtig sein. Es sucht auch nach dir.«
    Die Luft bewegt sich und bringt eine feuchte Kälte mit. Ich zittere unkontrolliert. »Wer bist du?«
    Hinter dem kleinen Mädchen bemerke ich eine Bew e gung in der undurchdringlichen Dunkelheit. Ich blinzle, um klar zu sehen, aber es ist keine Tä u schung –die Schatten bewegen sich. Blitzschnell e r hebt sich das dunkle Etwas und nimmt seine furch t erregende Gestalt an, das blasse Skelettgesicht, die rot umrandeten Augenhöhlen. Der Mund öffnet sich und ein krächzendes Stöhnen entweicht.
    Komm zu uns, mein schönes, schönes …
    »Lauf.« Das Wort ist ein ersticktes Flüstern auf meiner Zunge. Das dunkle Etwas wächst und kommt noch näher. Das Heulen und Stöhnen in seinem I n nern lässt jede Zelle meines Körpers zu Eis erstarren. Ein Schrei bahnt sich se i nen Weg in meine Kehle. Wenn ich ihn herauslasse, werde ich nie mehr aufh ö ren zu schreien.
    Noch einmal, während mein Herz hart gegen meine Ri p pen klopft, sage ich, lauter diesmal: »Lauf!«
    Das dunkle Etwas zögert, weicht zurück. Es schnuppert in die Luft, als würde es einen Geruch aufspüren. Das kle i ne Mädchen wendet sich mir zu. »Zu spät«, sagt es, gerade als das Monster seine blicklosen Augen auf mich richtet. Die vermoderten Lippen klaffen auseinander, Zähne wie spitze Nägel entblößend. O Himmel, das Monster grinst mich an. Es öffnet seinen schrecklichen Mund weit und kreischt –ein Laut, der mir endlich die Zunge löst.
    »Nein!« Und schon bin ich zurück in der Kutsche, lehne mich aus dem Fenster und schreie das Paar dort draußen an. »Gebt den verdammten Weg frei –sofort!« Gleichze i tig schlage ich mit meinem Schal nach dem Hinterteil des Pferdes. Die Mähre wiehert und bäumt sich auf, worauf das Paar schleunigst das Weite sucht und in die Taverne flüc h tet.
    Der Kutscher beruhigt sein Pferd, während mich Tom in den Wagen zurückzieht. »Gemma! Was zum Teufel ist in dich gefahren?«
    »Ich …« Ich schaue nach dem Monster aus und sehe es nicht. Da ist nur eine Straße, mit trübem Licht und ein paar schmutzigen Kindern, deren L a chen von Ställen und halb verfallenen Schuppen w i derhallt. Die Szene verschwindet hinter uns in der Nacht.
    »Sag schon, Gemma, ist alles in Ordnung?« Tom ist eh r lich besorgt.
    Ich werde verrückt, Tom. Hilf mir.
    »Ich wollte einfach nur weiter.« Der Laut, der aus me i nem Mund kommt, ist eine Mischung aus einem Lachen und einem Heulen, wie das unartikulierte Lallen einer Ve r rückten.
    Tom betrachtet mich wie eine seltene Krankheit, gegen die er kein Mittel weiß. »Um Himmels willen! Nimm dich zusammen. Und bitte achte in Spence auf deine Au s drucksweise. Ich will dich nicht schon wenige Stunden später wieder abholen, nachdem ich dich dort abgeliefert habe.«
    »Ja, Tom«, sage ich, während der Wagen auf dem Kop f steinpflaster ins Leben zurückrattert, fort von London und den dunklen Schatten.

4. Kapitel
     
    »H i er ist die Schule, Sir«, ruft der Kut scher.
    Eine Stunde lang sind wir durch hügeliges, mit Bäumen durchsetztes Gelände gefa h ren. Die Sonne geht unter, der Himmel ist in blaues Zwielicht g e taucht. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, sehe ich nichts als einen Baldachin von Zweigen über mir und durch das Blätterwerk den Mond, reif wie eine Melone. Unser Kutscher scheint auch unter Sinne s täuschungen zu leiden, denke ich schon, doch da erreichen wir einen H ü gelkamm und Spence liegt in seiner ganzen Pracht vor uns.
    Ich hatte ein hübsches kleines Anwesen erwartet, wie sie in Groschenromanen beschrieben werden, wo Mädchen mit rosigen Wangen auf gepflegtem gr ü nem Rasen Tennis spielen. Spence hat nichts Heimeliges an sich. Das Gebä u de ist riesig, das vergessene Schloss eines Größenwahnsi n nigen, mit mächtigen runden Ecktürmen und unzähligen kleinen Türmchen. Zweifellos würde man ein Jahr bra u chen, nur um alle Räume in seinem Innern zu besuchen.
    »Brrr!« Der Kutscher hält mit einem Ruck den Wagen an. Irgendjemand ist auf der Straße.
    »Wer ist da drin?« Eine Frau kommt auf meine Seite der

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