Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
gewacht -
e in Schatten, der sie traurig macht -
d ie Lady von Shalott.
Ihre Hände fassen nach der Höhlenwand, um ihren Sturz abzufangen. Sie rollt sich an der rissigen Oberfläche en t lang, bis sie uns wieder das Gesicht zuwendet. Schwei ß nasse Haarsträhnen kleben an ihrer Stirn und ihren Wa n gen. Ein seltsamer Ausdruck ist in ihr Gesicht getreten.
»Pip, Liebling, möchtest du wirklich deinen Ritter s e hen?«
»Mehr als alles!«
Felicity packt Pippas Hand und rennt auf den Ausgang der Höhle zu.
»Wartet auf mich«, ruft Ann, sich an ihre Fersen he f tend.
Sie verschmelzen mit der Nacht wie Spukgestalten, d e nen ich eilig folge.
»Felicity, was hast du vor?«, frage ich.
»Etwas Neues«, gibt sie spöttisch zurück.
Der Himmel pulsiert vom Licht der Abermillionen Ste r ne. Ein buttergelber Frühherbstmond reitet über allerletzte Wolkenschleier.
Felicity heult die Mondscheibe am Himmel an.
»Schhh«, sagt Pippa. »Du wirst die ganze Schule aufw e cken.«
»Niemand wird uns hören. Mrs Nightwing hat heute Abend zwei Sherry gekippt. Sie würde nicht mal aufw a chen, wenn wir sie mitten auf dem Trafalgar Square abset z ten, mit einer Taube in jeder Hand.« Felicity heult noc h mals los.
»Ich will meinen Ritter sehen«, mault Pippa.
»Das wirst du auch.«
»Nicht, wenn uns Geraraa nicht hinbringt.«
»Wir alle wissen, dass es noch einen anderen Weg gibt«, sagt Felicity. Ihre blasse Haut schimmert im Mondlicht weiß wie die Knochen eines Skeletts. E i seskälte kriecht meine Wirbelsäule hoch.
»Was meinst du?«, fragt Pippa.
Da, ein plötzliches Rascheln zwischen den Bä u men. Ein Knacksen von Zweigen und eine Bewegung, flink und h u schend. Wir zucken zusammen. Ein Reh nähert sich der Lichtung, nach Fressbarem schnuppernd.
»Es ist nur ein Reh.« Ann stößt erleichtert die Luft aus.
»Nein«, sagt Felicity. »Es ist unser Opfer.«
Der Mond verschwindet sekundenlang hinter einer Wo l ke.
»Das ist nicht dein Ernst«, sage ich, aus meiner trotzigen Betäubung auftauchend.
»Warum nicht? Sie haben es auch getan. Aber wir we r den es geschickter anstellen.«
»Aber sie haben die Kontrolle darüber verloren …« , s a ge ich.
Felicity unterbricht mich. »Wir sind stärker als sie. Wir werden nicht die gleichen Fehler machen. Die Jägerin hat mir gesagt …«
Die Jägerin, die mir die Beeren angeboten hat, hat Fel i city auf ihren Jagdausflügen alles Mögliche ei n geflüstert. Irgendetwas versucht, in meinem Kopf Gestalt anzune h men, aber es kommt nicht ans Licht. Zurück bleibt nur die Angst, stur und nicht zu ign o rieren.
»Was ist mit der Jägerin?«
»Sie hat mir gewisse Dinge erklärt. Dinge, in die du nicht eingeweiht bist. Sie hat mir gesagt, ich könne die Macht gewinnen, wenn ich ihr ein Opfer darbringe.«
»Nein … das ist nicht …«
»Sie hat mir vorausgesagt, dass du so reagieren würdest. Dass dir nicht zu trauen ist, weil du die M a gie des Reichs für dich allein haben willst.«
Pippa und Ann schauen abwartend von Felicity zu mir und wieder zu Felicity.
»Das darfst du nicht tun«, sage ich. »Ich werde es nicht zulassen.«
Felicity nähert sich langsam und stößt mich dann rüc k wärts auf die Erde. »Du. Kannst. Uns. Nicht. Aufhalten.«
»Felicity …« Ann schaut drein, als wisse sie nicht, ob sie eingreifen oder auf und davon rennen soll.
»Kapierst du nicht? Gemma will die Magie für sich a l lein! Sie will Macht über uns ausüben!«
»Das ist nicht wahr!« Ich rapple mich auf die Füße hoch und mache mich auf den Rückweg.
Pippa kommt mir nach. Ich spüre ihren Atem in meinem Nacken. »Warum willst du uns dann nicht hinbringen?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Sie vertraut uns nicht«, sagt Felicity, verschränkt tr i umphierend ihre Arme und lässt den gesäten S a men in die Tiefe sinken. Das Misstrauen breitet sich wie eine anst e ckende Krankheit aus.
Das Reh ist unmittelbar vor uns im Dickicht. Pippa be o b a chtet es. Sie verlagert ihr Gewicht von e i nem Fuß auf den anderen. »Dann musste ich ihn nicht heiraten. Stimmt ’ s?«
Felicity nimmt ihre Hände. »Dann könnten wir alles ä n dern.«
»Alles«, sagt Ann, sich auf ihre Seite schlagend.
In Indien habe ich einmal mit eigenen Augen den Au s bruch eines Brandes gesehen. In der einen S e kunde war es nur ein verirrter Funke vom Feuer eines Bettlers, ein kle i ner Funke, der von einem Win d stoß erfasst wurde. Binnen Minuten ging alles, so weit man sehen
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