Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
konnte, in Flammen auf, Strohdächer prasselten wie eine Unmenge trockenes Anzündholz, Mütter stürzten mit weinenden Kindern in den A r men auf die Straßen heraus.
So fängt eine Feuersbrunst an. Mit einem Funken. Und ich sehe schon, wie der Funke vom Wind erfasst wird.
»Also gut«, sage ich. Ich muss unbedingt verhindern, dass sie es allein tun. »Also gut, ich bringe euch hin. Lasst uns in die Höhle gehen.«
»Zu spät«, erklärt Felicity mit eiskalter Entschlo s senheit.
»Was willst du damit sagen?«
»Damit will ich sagen, dass es uns nicht passt, noch lä n ger an deinem Rockzipfel zu hängen. Wir werden das M a gische Reich ohne deine Hilfe betr e ten, danke.«
»Aber ich …«
Pippa kehrt mir den Rücken zu. »Wie fangen wir es?«
»Wir jagen es zu der Schlucht. Dort schneiden wir ihm den Fluchtweg ab.« Felicity knöpft ihre Ärmel auf und schlüpft aus ihrer Bluse.
»Was tust du?«, frage ich erschrocken.
Felicity erklärt es den anderen, mich bewusst ignori e rend. »Mich ausziehen. In Korsetts und langen Röcken können wir kein Reh fangen. Wir müssen nackt sein, wie die Jägerin.«
Die Situation gerät hoffnungslos außer Kontrolle. Mir ist, als würde ich beim Einsturz eines Gebäudes zusehen, ohne irgendwas dagegen tun zu können.
Ann schlingt die Arme um ihre plumpe Taille. »Ist das unbedingt nötig? Können wir das Reh nicht so fangen, wie wir sind?«
Felicity ist jetzt nackt. Blass wie eine Marmorst a tue. Ihre Stimme durchschneidet das Geraschel tr o ckener Blätter. »Bleib hier, wenn du willst. Aber ich werde es nicht mehr so machen wie bisher. Ich kann nicht.«
Pippa setzt sich ins Gras und zieht ihre Schuhe aus, dann fängt sie an, ihren Rock abzustreifen. Ann folgt ihrem Be i spiel.
»Ann, Pippa, hört mir zu. Was ihr hier tut, ist nicht ric h tig. Das dürft ihr nicht. Bitte, hört auf mich!« Sie schenken mir keine Beachtung und fahren fort, mit hastigen Fingern ihre Kleider abzulegen. Der Kopf des Rehs taucht auf. Sie ducken sich tief auf den Waldboden. Felicity hält zum Stillsein mahnend e i nen Finger hoch. Das Reh wittert die Gefahr und flüchtet sich in den Schutz der Bäume.
Mit einem Ausruf der Überraschung sind sie auf den Beinen, nackt und glänzend. Sie laufen auf den Wald zu, bis sie nur noch ein Gestöber weißer Fl o cken sind.
Ich jage ihnen nach, wie sie dem Reh nachjagen. Es ve r schwindet zwischen den Bäumen und taucht wieder auf. Felicity läuft als Anführerin voraus. Ich höre das scharfe Knacksen niedergetretener Zweige, höre das Keuchen me i nes eigenen Atems. Und dann etwas, was wie ein heftiger Aufprall klingt.
Als ich aus den Bäumen heraustrete, stehen Ann und Pippa schwer atmend am Rand der Schlucht. Das Reh ist nirgends zu sehen. Aus einem aufg e schütteten Erdwall ist ein großes Stück herausgeri s sen. Vorsichtig trete ich an die Böschung. Mein Fuß schickt einen Hagel von Erde und Steinen in die Tiefe und ich muss mich an einem Wurze l strang fes t klammern, um nicht abzustürzen.
Das Reh liegt verletzt auf dem Grund der Schlucht. Es versucht, den Kopf zu heben, und stößt dabei entsetzliche Laute aus. Felicity hockt daneben, kriecht näher an das Reh heran. Sie beugt sich über das Tier, streichelt sein braunes Fell und beruhigt es mit sanften Tönen. Sie wird es nicht tun. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmt mich, während ich darauf warte, dass sie den Abhang he r aufklettert.
Die Wolken verflüchtigen sich. Der Mond blendet uns mit seinem harten, klaren Licht.
Felicity macht sich dort unten mit irgendetwas zu scha f fen. Plötzlich reißt sie die Hand hoch. Mit e i nem dumpfen Knall, der mir wie ein Keulenschlag in den Magen fährt, lässt sie den Felsbrocken herabsa u sen. Und noch einmal, bis sich in der Schlucht nichts mehr regt außer ihr selbst. Mit kleinen, vorsichtigen Schritten klettern Ann und Pippa den Abhang hi n unter, eine nach der andern packt den Fel s brocken und bringt es hinter sich. Ihre bloßen Rücken, die sich beugen und straffen, leuchten in der Nacht. Als sie sich entfernen, ähnelt das Ding auf dem Grund der Schlucht vom Hals aufwärts keinem Reh mehr. Der Kopf ist eine einzige breiige Masse. Ich wende mich ab, um mich zu übergeben.
Als ich mich wieder aufrichte, kriechen die drei auf Händen und Knien den steilen Hang herauf. In der Dunke l heit erscheint das verspritzte Blut auf i h rer Alabasterhaut schwarz wie Tinte. Felicity ist die Letzte. Sie hält noch immer den blutgetränkten
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