Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
verdiene ihre Freundlic h keit gar nicht.
»Werden Sie das tun?«
»Ja«, höre ich mich sagen.
Sie lässt meine Hände los und schreitet erhobenen Hau p tes durch die Tür und auf die Karosse zu. Auf halbem Weg dreht sie sich noch einmal um und ruft mir zu: »Sie werden sich mit diesen Stillleben i r gendwie arrangieren müssen.«
Damit steigt sie in den Wagen und klopft zweimal. Die Pferde wiehern und ziehen an, dann traben sie, Erde au f wirbelnd, auf die Toreinfahrt zu. Ich be o bachte, wie der Wagen in der Ferne kleiner und kleiner wird, bis er um e i ne Kurve biegt und in der Nacht verschwindet.
35. Kapitel
P u nkt halb elf macht Mrs Nightwing ihre Runde, um sich zu vergewissern, dass ihre zarten Hühnchen vollzählig sind und wohlbehalten in ihren Betten liegen, weit weg von den bösen Wölfen dra u ßen. Als die Uhr unten im Treppenhaus Mitternacht schlägt, zeigt uns ein leises Kratzen an unserer Tür an, dass die Luft rein ist. F e licity und Pippa holen uns zu einem letzten, gemei n samen nächtlichen Abenteuer.
»Wie werden wir hinauskommen?«, frage ich. »Sie hat die Türen abgeschlossen.«
Felicity lässt einen Schlüssel vor unserer Nase baumeln. »Zufälligerweise schuldete mir Molly, das Zimmermä d chen vom oberen Stock, eine Gefälli g keit, nachdem ich sie mit dem Stallburschen erwischt hatte. Los, zieht euch an.«
Die Höhle heißt uns ein letztes Mal willkommen. Die Näc h te sind kälter geworden und wir kuscheln uns im Schein u n serer letzten Kerzen zusammen, um uns gege n seitig zu wärmen. Als den anderen klar wird, dass ich sie nicht ins Magische Reich bringen werde, sind sie a u ßer sich.
»Aber warum nicht?«, schreit Pippa.
»Ich hab ’ s euch schon gesagt. Ich fühle mich nicht gut.«
Ich habe nicht die Absicht, noch einmal durch das Tor zu treten. Stattdessen werde ich Französisch pauken. Auf meine Haltung achten. Lernen zu knic k sen und vernünftige Bilder zu malen. Ich werde so sein, wie sie mich haben möchten –wohlbehütet. Und es wird nie wieder etwas Schlimmes passieren. Ich kann mich verstellen, kann so tun, als sei ich eine andere, und wenn ich mich lange genug verstelle, dann glaube ich es schließlich selbst. So wie meine Mutter.
Pippa kniet zu meinen Füßen und legt wie ein Kind ihren Kopf in meinen Schoß. »Bitte, Gemma. Liebe, liebste Gemma . Du darfst meine Spitze n handschuhe tragen. Du darfst sie behalten!«
»Nein!«, sage ich so laut, dass es von den Höhlenwä n den widerhallt.
Pippa lässt sich trotzig auf den Boden fallen und gibt sich geschlagen. »Fee, rede du mit ihr. Ich erre i che nichts.«
Felicity ist überraschend kühl. »Offensichtlich ist Ge m ma heute Nacht nicht zu überreden.«
»Was machen wir denn jetzt?«, jammert Pippa.
»Es ist noch etwas Whiskey übrig. Hier, nimm e i nen Schluck.« Felicity zieht die halb leere Flasche aus ihrem Ve r steck in einer Felsnische. »Der wird deinen Sinn ä n dern.« Sie nippt selbst kurz daran, dann hält sie mir die Fl a sche hin. Ich stehe auf und setze mich auf einen anderen Felsen.
»Bist du immer noch böse wegen Miss Moore?«
»Unter anderem.« Ich bin wütend, dass wir sie so e r bärmlich im Stich gelassen haben. Ich bin wütend, dass meine Mutter eine Lügnerin und eine Mörderin ist. Dass mein Vater drogensüchtig ist. Dass Kartik mich verachtet. Dass alles, was ich anpacke, schie f zugehen scheint.
»Na schön«, sagt Felicity. »Dann verzieh dich in deinen Schmollwinkel. Wer möchte einen Drink?«
Wie kann ich ihnen sagen, was ich weiß? Ich will es ja selbst nicht wahrhaben. Ich wünschte, ich könnte das a l les ungeschehen machen, einfach wieder zu jenem ersten Tag im Magischen Reich zurückkehren, als alles möglich zu sein schien. Felicity lässt die Flasche wieder und wi e der herumgehen und bald haben sie gerötete Gesichter und gl a sige Augen. Felicity tanzt in der Höhle herum und rez i tiert dabei aus jenem wohlbekannten Gedicht.
Im Herzen scheint sie froh zu sein,
s ie webt ins Tuch die Welt hinein.
Und oft durch nächtlich stillen Hain
e in Trauerzug im Fackelschein
z og hin zur Burg von Camelot.
»Oh, nicht schon wieder«, murmelt Ann und lehnt ihren Kopf gegen einen Felsblock.
Felicity verhöhnt mich mit dem Gedicht. Sie weiß, dass es mich an Miss Moore erinnert. Wie ein tanzender De r wisch breitet sie ihre Arme aus und wirbelt immer schne l ler herum bis zur Ekstase.
Und in so mancher Vollmondnacht
h at sie der Liebenden
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