Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
ugeben. »Was, wenn Reverend Waite en t deckt, dass der Messwein fehlt? Wird er nicht Ve r dacht schöpfen?«
Ein verächtliches »Ha« entschlüpft Felicitys Lippen. »Der Trunkenbold wird nur vermuten, dass er den Wein selbst gesoffen hat. Außerdem halten sich in dieser Jahre s zeit immer Zigeuner mit ihren Wohnwagen hier im Wald auf. Notfalls können wir es denen in die Schuhe schieben.«
Diese Idee gefällt mir überhaupt nicht. Die Tür der K a pelle scheint seit der Abendandacht größer und bedrohl i cher geworden zu sein. Trotz meines Unb e hagens weiß ich, dass ich hineingehen werde. »Wo bewahrt er den Wein auf?«
Pippa schiebt mich zur Tür. »Hinter dem Altar. Dort ist eine kleine Mauernische.«
Sie hebt mit all ihrer Kraft den Riegel hoch. Die Tür öf f net sich knarrend, drinnen herrscht gruftähnliche Finste r nis.
»Ihr könnt nicht erwarten, dass ich die im Dunkeln fi n de.«
»Taste dich vor«, sagt Felicity und schubst mich hinein.
Ich kanns nicht glauben, dass ich tatsächlich hier in der finsteren, unheimlichen Kapelle bin, bereit, ein Sakrileg zu begehen. Du sollst nicht stehlen. Eins von Gottes Entw e der-du-gehorchst-mir-oder-ich-werde-dich-zerschmettern— Geboten . Wenn ich ausg e rechnet das stehle, was nach dem Glauben der Kirche das heilige Blut Christi ist, macht es die Sache sicher nicht besser. Noch ist es nicht zu spät. Ich könnte umkehren und wieder ins Bett gehen. Das könnte ich, aber ich würde damit für immer auf die Macht verzic h ten, die ich jetzt über diese Mädchen habe.
Richtig. Abo bring ’ s hinter dich, so rasch wie möglich. Das Licht, das durch die offene Tür fällt, erhellt die Vo r halle ein wenig, aber die Apsis, wo sich der Altar und der Wein befinden, liegt in völl i ger Dunkelheit. Ich bewege mich Schritt für Schritt darauf zu. Und dann höre ich, wie hinter mir die Tür zugeworfen wird. Die Mädchen und das Licht ve r schwinden und der Riegel außen fällt mit einem dumpfen Schlag in die Verankerung. Sie haben mich ei n gesperrt. Ohne nachzudenken, stürze ich hin und werfe mich mit der Schulter gegen die Tür. Sie gibt nicht nach. Und a u ßerdem tut es verdammt weh.
Dumm, dumm, dumm, Gem. Was habe ich erwa r tet? Wie konnte ich auf die Geschichte, sie würden mich gern mit in ihrem privaten Klub haben wollen, hereinfallen? Anns Stimme schwirrt in meinem Kopf –Was soll ’ s? Gegen die kann man nicht gewinnen. Ich habe keine Zeit, mir selbst leidzutun. Ich muss nachdenken.
Bestimmt gibt es noch einen anderen Ausgang. Ich muss ihn nur finden. Rings um mich scheint die K a pelle von Schatten bevölkert zu sein. Mäuse trippeln unter Kirche n bänken, ihre Krallen klicken auf dem Marmorboden. Ich bekomme eine Gänsehaut –nicht nur von der Kälte. Der Mond ist stark. Sein Licht fällt durch die farbigen Gla s fenster, erweckt einen Engel zum Leben, dann das Gorg o nenhaupt, dessen gelbe Augen in der Dunkelheit auffl a ckern.
Ich taste mich von einer Kirchenbank zur nächsten und hoffe, dabei nicht auf pelzige Nagetiere oder Schlimmeres zu treten. Jedes Geräusch hallt wie verrückt. Das Gekra b bel nächtlichen Ungeziefers. Das Knarren und Ächzen der Bäu m e im Wind. Eigentlich geschieht es mir ganz recht, Opfer eines so üblen Streichs geworden zu sein. Es ist nur eine kleine In i tiation, ein Ritus, den wir hier in Spence pflegen –wir quälen einander gern. Grazie, Charme und Schönheit –dass ich nicht lache! Es ist eine Schule für S a distinnen mit exzellenten Kenntnissen im Te e servieren.
Klick, klick. Ächz.
Felicity ist wahrscheinlich genauso wenig mit A d miral Worthington verwandt wie ich.
Klick, klick. Ächz.
Ich will gar nicht nach Paris fahren.
Klick, klick. Krächz.
Ein Husten. Ich habe nicht gehustet. Aber wenn ich es nicht war, wer war es dann?
Der Gedanke braucht nur eine Sekunde, um in meinen Beinen anzukommen. So schnell ich nur kann, laufe ich stolpernd den Mittelgang entlang. Die Stufen zum Altar stoppen mich. Ich falle darüber und lande der Länge nach auf dem harten Marmor, die scharfe Kante schneidet mir ins Bein. Hinter mir höre ich Schritte, bin schon auf Hä n den und Knien, und dann sehe ich etwas, dort direkt hinter der Orgel –eine Tür, die einen Spaltbreit offen steht. Ich krabble darauf zu, fühle die letzte Stufe, erhebe mich und stürze auf wackligen Beinen zu der verheißungsvo l len Tür. Gleich werde ich wissen, wohin sie führt.
Plötzlich ist etwas über mir. Lieber Gott, ich sehe
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