Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Röte in die Wangen und sie stöhnt: »O mein Gott, du kannst nicht allen Ernstes meinen, dass … dass sie … wie Mann und Frau … ? «
»Ja, genau.«
Pippa ist wie betäubt. Die Röte weicht nicht aus ihrem G e sicht und von ihrem Hals. Auch ich bin schockiert, aber ich lasse es mir nicht anmerken. »Kann ich bitte weiterl e sen?«
Die Zigeuner sind heute zurückgekommen und h a ben ihr hager aufgeschlagen. Als wir den Rauch von ihrem Feuer sahen, sind Sarah und ich hingelaufen, um Mutter Elena aufzusuchen.
»Mutter Elena?«, stößt Ann hervor.
»Die Verrückte mit dem zerfetzten Kopftuch?« Pippa rümpft angeekelt die Nase.
» Schhh! Lies weiter«, sagt Felicity.
Sie empfing uns freundlich mit Kräutertee und Erzählu n gen von ihren Reisen. Wir gaben Carolina Bonbons, die sie gierig verschlang. Mutter Elena g a ben wir fünf Pence. Und dann versprach sie, uns die Karten zu legen, wie sie es schon früher ge t an hatte. Aber kaum hatte sie Sarahs Ka r ten in der üblichen kreuzförmigen Anordnung aufgedeckt, hielt sie inne und schob die Karten wieder zu einem Stop zusa m men. »Die Karten haben heute schlechte Laune«, sagte sie mit einem schmalen Lächeln, aber in Wir k lichkeit schien sie von einer bösen Vorahnung erfüllt zu sein. Sie bat mich, meine Handfläche vorzuzeigen, und zeichnete mit ihrem spitzen Fingernagel die L i nien meiner Hand nach. »Du bist auf einer dunklen Reise«, sagte sie, meine Hand wie einen heißen Stein fallen lassend. »Ich sehe nicht, w o hin sie führt.« Dann bat sie uns ganz abrupt, wieder zu g e hen, weil sie im Lager nach dem Rechten sehen müsse.
Ann schielt über meinen Arm und versucht vorauszul e sen. Ich ziehe das Buch weg, mit dem Erfolg, dass es mir aus den Händen rutscht und die losen Blätter herausfla t tern.
»Bravo, damit kannst du im Zirkus auftreten ! «, ruft Fel i city Beifall klatschend.
Ann hilft mir, die Blätter wieder aufzusammeln. Jede Unordnung ist ihr ein Gräuel. Ein Stück ihres Unterarms ist entblößt. Ich kann die roten kreuzstichartigen Striemen s e hen, frisch und zornig. Das war kein Unfall. Ann fügt sich diese Wunden selbst zu. Sie bemerkt meinen Blick und zerrt an ihrem Ärmel, um ihr Geheimnis zu bedecken.
»Nun komm schon«, sagt Felicity ungeduldig. »Was wird uns das Tagebuch von Mary Dowd heute Nacht noch enthü l len?«
Ich greife eine Seite heraus. »Also gut«, sage ich. Es ist nicht die Seite, mit der wir aufgehört haben, aber egal.
1. April 1871
Sarah kam tränenüberströmt zu mir. »Mary, Mary, ich kann das Tor nicht finden. Die magische Kraft verlässt mich.«
»Sarah, du bist erschöpft. Das ist alles. Probier es mo r gen noch einmal.«
»Nein, nein«, jammerte sie. »Ich hab ’ s jetzt stu n denlang versucht. Ich sag dir, sie ist weg.«
Mein Herz wurde von einer Eiseskälte erfasst. »Sarah, komm. Ich helfe dir, es zu finden.«
Sie fuhr mich so wütend an, dass ich meine Freu n din fast nicht wiedererkannte. »Verstehst du nicht? Ich muss es selbst tun, sonst zählt es nicht. Ich kann mich nicht deiner Kraft bedienen, Mary.« Dann fing sie an zu weinen. »Oh, Mary, Mary, der Gedanke, nie wieder die Runen berühren zu können, nie wieder zu fühlen, wie ihre Magie durch mich hindurc h strömt, ist einfach unerträglich. Ich kann den G e danken nicht ertragen, dass ich von nun an nur die gewöhnliche Sarah sein werde.«
An diesem Abend konnte ich keine Ruhe mehr fi n den oder auch nur einen einzigen Bissen essen. Eugenia b e merkte meinen Kummer und bat mich zu sich in ihr Zi m mer. Sie sagte, das komme oft vor –die magische Kraft e i nes Mädchens flammt auf und e r lischt dann wieder. Diese Kraft muss tief in der Seele genährt werden, sonst ist sie nichts als eine flüchtige Erscheinung. Oh, Tagebuch, sie vertraute mir an, dass Sarahs magische Kraft genau so b e schaffen ist, unbeständig und nicht von Dauer. Sie sagte, das M a gische Reich entscheidet darüber, wer im Orden des aufgehenden Mondes aufsteigen und in die alten My s terien eingeweiht werden soll und wer zurüc k bleiben muss. Eugenia tätschelte meine Hand und versickerte, dass die Kraft in mir groß und stark sei. Aber es ist unvorstellbar für mich, ohne meine liebste Freundin und Schwester we i terzumachen.
Als Sarah spät in der Nacht zu mir kam, wollte ich alles tun, damit die Dinge wieder so würden, wie sie vorher w a ren, wir zwei einander so vertraut wie Schwestern und die Geheimnisse des Magischen Reichs zum
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