Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Opfer romant i scher Verblendung ist, ist Pippa in Ordnung.
»Was macht man, wenn man sich mit einem Rechtsa n walt trifft?«, fragt Ann. Sie zeichnet mit einer geköpften Nelke kleine Kreuze in den Staub.
Pippa seufzt. »Ach, im Allgemeinen ist ’ s immer das Gleiche. Man muss ihnen schöne Augen machen. Wenn sie dir dann in aller Ausführlichkeit einen Rechtsfall geschi l dert und dich damit zu Tode g e langweilt haben, musst du die Augen niederschlagen und etwas sagen wie: › Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung, dass die Rechtswisse n schaft so faszinierend sein kann, Mr Bumble. Aber so wie Sie das erzählen, ist es spannend wie ein Roman! ‹ «
Wir biegen uns vor Lachen. »Nein! Das hast du nicht wirklich gesagt!«, ruft Felicity.
Pippa schüttelt ihre Niedergeschlagenheit ab. »O doch, das habe ich! Und wie findet ihr das?« Sie klimpert mit den Wimpern und setzt eine reizende, schüchterne Miene auf. »Nun ja, vielleicht könnte ich ein Stückchen Schokolade vertragen …«
Ich muss darüber lachen, ob ich will oder nicht. Wir alle wissen, dass Pippa eine heimliche Nasc h katze ist.
»Ein Stückchen Schokolade?«, ruft Felicity. »Mein Gott, wenn er sehen könnte, wie du eine ganze Schachtel Sahn e bonbons verdrückst, wäre er schockiert ! Nach deiner Hochzeit wirst du sie in de i nem Boudoir verstecken und in dich reinstopfen müssen, wenn er nicht hinschaut.«
Pippa kreischt und tut so, als würde sie Felicity mit dem Nelkenstängel verprügeln. »Du bist unmö g lich ! Ich werde Mr Bumble auf keinen Fall heiraten. Du lieber Himmel, ein Mann namens Bumble ! Das allein ist schon ein Fluch fürs Leben ! «
Felicity rückt außer Reichweite des Nelkenstä n gels. »O doch, du wirst ihn heiraten ! Er hat inzw i schen viermal um dich angehalten. Ich wette, deine Mutter bereitet schon die Hochzeit vor, während wir uns hier unterhalten ! «
Pippas Lachen bleibt ihr im Hals stecken. »Das glaubst du nicht wirklich, stimmt ’ s?«
»Nein«, sagt Felicity rasch. »Nein, es war nur ein schlechter Scherz.«
»Ich möchte aus Liebe heiraten. Ich weiß, das ist dumm, aber ich kann ’ s nicht ändern.«
Pippa sieht plötzlich so klein aus, während sie da zw i schen ihren verstreuten Blütenblättern sitzt, dass ich fast vergesse, wie wütend ich auf sie bin. Ich kann nie lange auf jemanden böse sein.
Felicity hebt mit einem Finger Pippas Kinn hoch. »Und das wirst du auch. Lasst uns jetzt zur Tagesordnung übe r gehen. Pip, willst du nicht die Zerem o nie leiten?«
Sie holt den Whiskey wieder hervor. Ich stöhne inne r lich.
Als die Flasche bei mir ankommt, setze ich sie mit T o desverachtung an die Lippen und stelle fest, dass es nicht so schlimm ist, wenn man kleine Schlüc k chen nimmt. Diesmal trinke ich gerade nur so viel, dass ich mich warm und leicht fühle, keinen Tropfen mehr.
»Wir müssen eine Lesung aus dem Tagebuch unserer Schwester, Mary Dowd, abhalten. Gemma, willst du heute Nacht diese ehrenvolle Aufgabe übernehmen?« Mit einer Verbeugung überreicht mir Felicity das Tagebuch. Ich räuspere mich und begi n ne.
21. März 1871 Heute standen wir zwischen den R u nen des Orakels. Unter Eugenias Leitung berüh r ten wir sie einen kurzen Moment lang mit den Fi n gern und überließen uns der Macht der Magie. Das G e fühl war überwältigend. Es war, als könnte jede von uns die geheimsten Gedanken der anderen lesen, als wären wir ein und dasselbe Wesen.
Felicity zieht eine Augenbraue hoch. »Klingt ziemlich ve r dächtig. Mary und Sarah sind wahrscheinlich Sapphieri n nen .«
»Was zum Teufel sind Sapphierinnen?«, fragt Pippa g e langweilt, wieder ganz sie selbst. Sie wickelt die Enden ihrer dunkelbraunen Ringellocken um ihren unbehan d schuhten Finger.
»Muss man dir alles erklären?«, fragt Felicity spö t tisch.
Auch ich habe keine Ahnung, was Sapphierinnen sind, aber ich werde mich hüten, das zuzugeben.
»Von Sappho, einer griechischen Dichterin, die sich der Liebe zu Frauen hingab.«
Pippa hört auf zu wickeln. »Was soll das nun wi e der heißen?«
Felicity schenkt Pippa einen tiefgründigen Blick. » Sapphierinnen geben in der Liebe Frauen den Vo r zug vor Männern.«
Jetzt habe ich verstanden und auch Ann hat es offe n sichtlich kapiert, sonst würde sie nicht so nervös ihre R ö cke glatt streichen und ängstlich vermeiden, jemanden a n zusehen. Pippa fixiert Felicity, als kön n te sie den Sinn des Gesagten von ihrer Stirn ablesen. Dann steigt ihr langsam
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