Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
mein freies Handgelenk. Sie gehört dem Jungen mit der großen Nase.
»Wie können wir sicher sein, dass sie dir gehört? Sie scheint nicht besonders willig zu sein«, ätzt er. »Vielleicht kommt sie lieber mit mir.«
Kartik zögert, lange genug, um die Männer, die die Sz e ne lachend verfolgen, in ihrem Misstrauen zu bestärken. Der Griff der Großnase ist hart wie Eisen und die Furcht schmeckt metallisch in meinem Mund. Für moralische B e denken ist jetzt keine Zeit. Vernunft führt hier nicht weiter. Ich küsse Kartik o h ne Vorwarnung. Seine Lippen, die sich auf meine pressen, überraschen mich. Sie sind warm, zart wie ein Hauch, fest und samtig wie ein Pfirsich. Ein Duft wie nach zerstoßenem Zimt hängt in der Luft, aber ich falle nicht in eine Vision. Es ist sein Geruch, der mich umfängt. Ein Geruch, der meinen Magen in die Kniekehlen rutschen lässt. Ein Geruch, der meine Gedanken vernebelt und einen unersättlichen Hunger nach mehr weckt.
Kartiks Zunge schlüpft für eine Sekunde zwischen me i ne Lippen und es durchfährt mich siedend heiß. Ich reiße mich los, keuchend, mein Gesicht glühend rot. Ich kann niemanden ansehen, insbesondere Ann und Felicity nicht. Was müssen sie jetzt von mir denken? Was würden sie erst denken, wenn sie wus s ten, wie sehr ich es genossen habe? Was bin ich für ein Mädchen, dass ich Vergnügen an e i nem Kuss finde, den ich mir kühn genommen habe?
Ein stämmiger Mann im Hintergrund prustet laut l a chend heraus: »Jetzt sehe ich, dass sie wirklich dir g e hört ! «
»Ja«, krächzt Kartik. »Ich bringe die drei zu Mutter El e na, damit sie ihnen die Zukunft voraussagt. Wir brauchen ihr Geld, nicht ihre Probleme.«
Kartik führt uns zu Mutter Elenas Zelt. Felicity nimmt ihn genauer ins Visier. Ihre Augen wandern von mir zu ihm und wieder zurück. Ich setze mein steinernes Gesicht auf und schließlich wendet sie sich ab. Kartik hebt für Fel i city und Ann die Zel t klappe, aber mich zieht er mit einem unsanften Ruck zur Seite. »Was fällt Ihnen ein hierherz u kommen?«
»Ich will mir die Zukunft voraussagen lassen«, erwidere ich. Es ist eine blödsinnige Antwort, aber meine Lippen sind immer noch warm von seinem Kuss und ich bin zu durcheinander, um mir etwas Klügeres einfallen zu lassen. »Ich bitte um Entschu l digung für mein Benehmen«, bringe ich mühsam heraus. »Unter den gegebenen Umständen war es notwendig. Ich hoffe, Sie halten mich nicht für vore i lig.«
Er hebt eine Eichel vom Boden auf, wirft sie in die Luft und schlägt sie mit seinem Kricketholz. Der Schläger ist so alt und voller Risse und Sprünge, dass er ziemlich kraftlos wirkt. Kartiks Mund ist nur ein schmaler Strich. »Das wird mir bis in alle Ewigkeit vorgehalten werden.«
Das Kribbeln in meinem Magen gefriert. »Tut mir leid, dass ich Sie in Verlegenheit gebracht habe«, sage ich. Er antwortet nicht und ich fühle mich so gedemütigt, dass ich am liebsten im Boden versinken würde.
»Wo ist die Vierte in Ihrem kleinen Bund? Hat sie sich im Wald versteckt?«
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er Pippa meint. Ich erinnere mich an den Blick, mit dem er sie dort am Weiher angesehen hat. Offenbar hat er nicht au f gehört, an sie zu denken.
»Sie ist krank«, sage ich gereizt.
»Hoffentlich nichts Ernstes.«
Ich weiß nicht, warum ich mich durch die offensichtl i che Tatsache, dass Kartik in Pippa verliebt ist, so verletzt fühle. Es gibt keine Romanze zwischen uns. Nichts, was uns verbindet, außer diesem dun k len Geheimnis, das keiner von uns will. Nicht Ka r tiks Verlangen ist es, das schmerzt. Es ist mein eig e nes. Zu wissen, dass ich nie haben werde, was sie hat –eine Schönheit, die einem alles wie von selbst in den Schoß fallen lässt. Ich fürchte, ich werde immer um die Dinge kämpfen müssen, die ich haben will.
»Nichts Ernstes«, sage ich, schwer schluckend. »Darf ich jetzt hineingehen?« Ich mache eine Bew e gung, um die Zeltklappe zu öffnen, aber seine Hand umklammert mein Handgelenk.
»Tun Sie das nicht noch einmal«, sagt er warnend. Dann schiebt er mich ins Zelt hinein, bevor er selbst wieder im Wald verschwindet.
19. Kapitel
» D a bist du ja endlich«, ruft mir Felicity von dem kleinen Tisch, an dem sie und Ann mit der alten Z i geunerin sitzen, zu. »Mutter Elena hat uns gerade die höchst interessante Geschichte erzählt, dass Ann eine große Schönheit wird.«
»Sie hat gesagt, ich werde einmal viele Bewunderer h a ben«,
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