Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
nicke in Ithals Richtung, um a n zudeuten, dass er da ist.
Ann ist meinem Blick gefolgt und schaut sich ängstlich um. »Was ist?«
»Eine Planänderung. Wir müssen morgen während des Tags wiederkommen.«
»Aber du sagtest doch …« , wendet Ann ein.
Ich mache kehrt, dabei tritt mein Fuß auf einen Zweig, der mit einem lauten Knacks zerbricht. Die Hunde schl a gen sofort an. Ithal fährt hoch, einen Dolch in der Hand, wachsam wie ein wildes Tier. In seiner Muttersprache g e bietet er seinen Freunden, still zu sein. Auch sie horchen jetzt gespannt, bereit, sich zu verteidigen.
»Bravo«, flüstert Felicity.
»Mach nicht mir einen Vorwurf. Beschwer dich beim Wald«, knurre ich zwischen zusammengebiss e nen Zähnen.
Ithal hält einen Finger hoch, als Zeichen für seine Kam e raden. Auf Englisch ruft er: »Wer ist da?«
»Wir sind erledigt«, flüstert Ann, vor Schreck wie g e lähmt.
»Nicht ganz«, sagt Felicity. Sie richtet sich auf und tritt hinter dem Baum hervor, während wir versuchen, sie z u rückzuziehen.
»Was tust du?«, flüstert Ann laut, in panischer Angst.
Felicity kümmert sich nicht um uns. Sie geht mit erh o benem Kopf auf die Zigeuner zu, eine Erscheinung in we i ßem und blauem Samt. Die Männer sta r ren sie ehrfürchtig an, Felicity, die Göttin. Ich selbst weiß nicht, wie sich Macht anfühlt. Aber so jede n falls sieht sie aus und langsam verstehe i ch, warum jene Frauen der Vorzeit sich in Höhlen verstecken mussten. Warum unsere Eltern, unsere Lehrer und unsere Verehrer wollen, dass wir uns anständig und berechenbar benehmen und nicht aus der Reihe ta n zen. Der Grund ist nicht, dass sie uns schützen wo l len; der Grund dafür ist, dass sie uns fürchten.
Ein lüsternes Lächeln spielt um Ithals Lippen. Er ve r beugt sich vor Felicity. Als er uns hinter dem Baum e r späht, ängstlich und verschüchtert, flötet er uns süße Töne zu, aber das wölfische Grinsen bleibt.
Am liebsten würde ich augenblicklich nach Spence z u rücklaufen. Aber ich kann Felicity nicht im Stich lassen. Und die Männer könnten mir folgen, ins tiefe Dickicht des Waldes. Ich nehme Anns feuch t kalte Hand in meine und trete kerzengerade in den Kreis der Männer, der sich um uns drei schließt.
»Ich wusste, du würdest wiederkommen«, sagt Ithal spöttisch zu Felicity.
»Nichts wusstest du. Soviel ich mich erinnere, ließ ich dich gestern auf der anderen Seite der Mauer st e hen. Dort, wo immer dein Platz sein wird –auf der anderen Seite der Dinge.« Sie verhöhnt ihn. Das scheint mir keine weise Taktik zu sein, allerdings war ich noch nie im mitternäch t lichen Wald von vor Manneskraft strotzenden jungen Z i geunern umringt. Ich sehe mich außerstande, mit Rat und Tat einzugreifen. Ich kann nur die Luft anhalten und wa r ten.
Ithal tritt näher, spielt mit der Schleife des Ha u benbands unter Felicitys Kinn. Seine Stimme ist po l ternd, lachend, d röhnend, aber das Lächeln erreicht seine Augen nicht. Sie blicken verletzt und zornig. »Heute Nacht seid ihr auf der anderen Seite der Mauer.«
»Bitte«, krächzt Ann. »Wir sind nur gekommen, um Mutter Elena zu besuchen.«
»Mutter ist nicht hier«, sagt einer der Männer. Er ist kaum älter als ein Junge. Vielleicht fünfzehn, mit einer N a se, in die er noch nicht richtig hineing e wachsen ist. Wenn wir abhauen müssen, ist er der Erste, dem ich einen Tritt gebe.
»Ich wünsche, Mutter Elena zu sehen«, sagt Fel i city kühl und selbstbewusst. Ich bin die Einzige, die die Angst dahinter spürt, und ihre Furcht erschreckt mich noch mehr als die gesamte Situation.
Wie sind wir nur in diesen Schlamassel geraten? Und wie kommen wir da wieder heraus?
»Was ist hier los?« Kartik betritt in seiner Zigeunerve r kleidung den Schauplatz, seinen behelfsmäßigen Kricke t schläger in der Hand. Er reißt die Augen weit auf, als er mich sieht.
»Bitte, wir müssen unbedingt zu Mutter Elena«, sage ich und hoffe, dass ich mich nicht so zittrig a n höre, wie mir zumute ist.
Ithal hält seine Hände hoch, sodass man die dicken Schwielen auf seinen Handflächen sehen kann, Ze i chen eines harten Lebens unter freiem Himmel. »Aha … diese Gadsche gehört dir. Ich bitte um Verze i hung, mein Freund.«
Kartik schlägt einen spöttischen Ton an. »Sie g e hört nicht mir …« Er korrigiert sich. »Ja, sie gehört mir.« Er packt meine Hand und zieht mich fort aus dem Kreis. Ein Chor von Pfiffen und Johlen folgt uns. Eine andere Hand schlingt sich um
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