Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
a n bietet, uns zu unserem Wagen zu begleiten.
»Ich glaube, alles wird gut«, sage ich.
Die Besucher strömen in einer dichten Masse hi n aus, alle versuchen zu ihren Kutschen zu gelangen, ohne nass zu werden. Ein älteres Paar drängelt sich zw i schen mich und die anderen, dann verlangsamt es seinen Schritt fast bis zum Stillstand. Es gelingt mir nicht, an ihnen vorbeiz u kommen, und ich sehe nur noch weit vorn Felicitys blondes Haar flattern.
»Kann ich Ihnen helfen, Miss?« Der bekannten Stimme folgt eine bekannte Hand, die mich ene r gisch in eine kleine Seitenstraße zieht.
»Was tun Sie hier?«, frage ich Kartik.
»Sie beobachten«, sagt er. »Wären Sie so freun d lich, mir zu sagen, was das kleine Bravourstück heute Abend zu b e deuten hatte?«
»Es war nur ein Spaß, sonst nichts. Ein Schulmädche n streich.«
Auf der Straße rufen sie nach mir.
»Man sucht mich«, sage ich in der Hoffnung, dass er mich loslässt.
Er verstärkt den Griff um mein Handgelenk. »Irgende t was ist heute Abend passiert. Ich konnte es spüren.«
Ich setze zu einer Erklärung an. »Es war ein U n fall …«
»Das glaube ich nicht!« Kartik tritt fest nach e i nem Stein und katapultiert ihn in die Luft.
»Es ist nicht, wie Sie glauben«, versuche ich mich zu verteidigen. »Ich kann es erklären …«
»Keine Erklärungen! Wir geben die Befehle und Sie so l len sie befolgen. Keine Visionen mehr. Haben Sie mich verstanden?« Seine Mundwinkel zucken drohend. Er e r wartet, dass ich zittere und wide r spruchslos gehorche. Aber heute Abend hat sich in mir etwas verändert. Und ich kann nicht mehr z u rück.
Ich beiße in seine Hand und er lässt mit einem Aufschrei mein Handgelenk los. »Sprechen Sie nie wieder so mit mir«, knurre ich. »Ich habe nicht die Absicht, noch länger das ängstliche, brave Schu l mädchen zu sein. Wie kommen Sie als ein Fremder dazu, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen h a be?«
»Ich bin ein Rakschana«, schleudert er mir entg e gen.
Ich lache. »Ach ja – die großen, geheimnisvollen Ra k schana. Die mächtige Bruderschaft, die sich von Dingen bedroht sieht, die sie nicht versteht, und die sich hinter e i nem Grünschnabel verstecken muss.« Das Wort trifft ihn, als ob ich ihm ins Gesicht g e spuckt hätte. »Sie sind kein Mann. Sie sind ihr Lakai. Sie alle können mir gestohlen bleiben, Sie und Ihr Bru d er und Ihre lächerliche Organis a tion. Von nun an tue ich genau das, was ich will, und Sie können mich nicht aufhalten. Folgen Sie mir nicht. Be o bachten Sie mich nicht. Versuchen Sie nicht einmal, mit mir Kontakt aufzunehmen, oder es wird Ihnen leidtun. H a ben Sie mich verstanden?«
Kartik richtet sich auf, reibt seine verwundete Hand. Er ist zu verdattert, um etwas zu sagen. Zum ersten Mal ist er stumm wie ein Fisch. Und so lasse ich ihn stehen.
Mademoiselle LeFarge erteilt uns keinen Verweis. Auf der ganzen Fahrt zurück nach Spence sitzt sie mit geschloss e nen Augen da, ein trauriges Lächeln auf ihrem Gesicht. Aber in ihren Fingern hält sie die Visitenkarte des Inspe k tors. Eingelullt vom Rumpeln der Kutsche und müde von dem langen Abend sind alle in einen Dämmerschlaf gesu n ken. Alle außer mir.
Was ich heute Abend gesehen habe, hat mich in höchste Erregung versetzt. Alles in Mary Dowds Tagebuch en t spricht der Wahrheit. Das Magische Reich existiert wir k lich. Meine Mutter ist dort und wartet auf mich. Kartiks Warnungen lassen mich von nun an kalt. Ich weiß nicht, was ich hinter diesem Tor aus Licht noch alles finden we r de, und um ehrlich zu sein, fürchte ich mich ein bisschen davor. Das Einz i ge, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich die Kraft, die in mir schlummert, nicht länger ignori e ren kann. Die Zeit ist gekommen.
Meine Hand, die auf Felicitys Schulter liegt, rüttelt sie sanft wach.
»W-was ist? Sind wir schon da?«, fragt sie und reibt sich die Augen.
»Nein, noch nicht«, flüstere ich. »Ich muss ein Treffen des Ordens des aufgehenden Mondes einb e rufen.«
»Ja, fein«, sagt sie benommen und dann fallen ihr wieder die Augen zu. »Morgen.«
»Nein, es ist wichtig. Wir müssen uns noch heute Nacht treffen.«
22. Kapitel
I c h soll meine Fähigkeiten nicht nutzen. Ich soll nicht wi l lentlich in eine Vision fallen. Das Magische Reich ist seit mehr als zwanzig Jahren verschlossen, seitdem das, was mit Mary und Sarah passiert ist, alles veränderte. Aber wenn ich diesen Weg nicht b e schreite, sehe ich meine
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