Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Nachdenken.«
»Fressen oder gefressen werden!« Felicity beißt noch e i nen Happen ab.
Ich denke an Sarah und Mary und frage mich, was für eine schreckliche Entscheidung sie getroffen h a ben. Was immer es war, es war mächtig genug, um den Orden des aufgehenden Mondes zu zerschlagen. Und das führt mich zu der Entscheidung, die ich an dem Tag getroffen habe, als ich in Bombay von me i ner Mutter fortgerannt bin. Die Entscheidung, die anscheinend alles ins Rollen gebracht hat.
»Was geschieht, wenn man eine unbedachte Entsche i dung trifft?«, frage ich leise.
Miss Moore bietet uns die Weintrauben zum Essen an. »Man muss versuchen, sie zu korrigieren.«
»Aber wenn es dafür zu spät ist? Was, wenn man es nicht mehr kann?«
Trauriges Mitgefühl spricht aus Miss Moores katzenart i gen Augen, während sie sich wieder meinem Bild zuwe n det. Sie malt einen hauchdünnen Schatten am unteren Rand des Apfels entlang und erweckt ihn dadurch voll zum L e ben.
»Dann muss man lernen, damit zu leben.«
24. Kapitel
D e r Nachmittag hat sich herausgeputzt und die Wi e sen und Gärten der Spence-Akademie für junge D a men wimmeln von Mädchen –beim Seilspringen, beim Krocketspielen, umherschlendernd, sich unte r haltend. Wir vier haben uns für ein Rasentennis-Doppel entschieden. Felicity und Pippa spielen gegen Ann und mich. Jedes Mal, wenn mein Schl ä ger den Ball trifft, fürchte ich, jemanden zu köpfen. Ich denke, dass ich Te n nis getrost der langen Liste von Ferti g keiten hinzufügen kann, die ich nicht erwerben werde. Z u fällig gelingt es mir, den Ball ins gegnerische Feld zu spi e len. Er segelt an Pippa vorbei, die ihm so enthusiastisch mit den A u gen folgt wie eine grasende Kuh.
Felicity schaut sie empört an. »Pippa!«
»Ich kann nichts dafür. Das war ein elender Au f schlag!«
»Du hättest dich wenigstens bemühen können, den Ball zu erreichen«, sagt Felicity, ihren Schläger durch die Luft wirbelnd. »Er war eindeutig außerhalb meiner Reichwe i te!«
»Aber so vieles ist jetzt innerhalb unserer Reichweite«, sagt Felicity vieldeutig.
Die Mädchen, die unser Match verfolgen, können die A n spielung nicht verstehen, ich aber verstehe sie sehr wohl. Pippa hi n gegen zeigt sich begriffsstutzig.
»Das ist langweilig und mein Arm tut weh«, ja m mert sie.
Felicity rollt mit den Augen. »Also schön. Machen wir einen Spaziergang, einverstanden?«
Unsere Schläger überlassen wir einem eifrigen Viererg e spann mit geröteten Wangen. Wir haken uns unter und streifen durch die hohen Bäume, stoßen dabei auf Gruppen jüngerer Mädchen, die Robin Hood spielen. Das Problem ist, dass alle die schöne Marian sein wollen und niemand Bruder Tuck.
»Wirst du uns heute Nacht wieder ins Magische Reich bringen?«, fragt Ann, als die Stimmen der Kinder hinter uns zu einem Summen abgeklungen sind.
»Das kann ich euch schriftlich geben.« Ich lächle. »Es gibt jemanden, den ich euch vorstellen möchte.«
»Wen?«, fragt Pippa, während sie sich bückt, um ein paar Eicheln aufzusammeln.
»Meine Mutter.«
Ann schnappt nach Luft. Pippas Kopf fährt hoch. »Aber ist sie nicht …«
Felicity unterbricht sie. »Pippa, hilf mir, ein paar Gol d ruten für Mrs Nightwing zu pflücken. Das sollte sie heute Abend in eine milde Stimmung versetzen.«
Pflichtschuldig macht sich Pippa mit Felicity auf den Weg und bald suchen wir alle nach den gelben Septembe r blumen. Beim Weiher unten sehe ich Kartik, der mit ve r schränkten Armen am Bootshaus lehnt und mich beobac h tet. Sein s chwarzer Mantel flattert im Wind. Ich frage mich, ob er über das Schicksal seines Bruders Bescheid weiß. Einen Augenblick lang fühle ich Mitleid mit ihm. Aber dann muss ich an die Drohungen und den Spott de n ken und an die selbstgefällige Art, auf die er versucht hat, mich he r umzukommandieren, und mein Mitgefühl ist wie weggeblasen. Ich stehe kerzengerade und trotzig und starre geradewegs zu ihm zurück.
Pippa kommt hinzu. »Du lieber Himmel, ist das nicht der Zigeuner, der mich beim Baden gesehen hat?«
»Ich erinnere mich nicht«, lüge ich.
»Ich hoffe, er versucht nicht, uns zu erpressen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sage ich in mö g lichst gleichgültigem Ton. »Oh, sieh mal –eine Herbstzei t lose.«
»Er schaut ziemlich gut aus, nicht?«
»Findest du?« Das rutscht mir raus, bevor ich es verhi n dern kann.
»Für einen Zigeuner zumindest.« Sie wirft auf eine reichlich affektierte Art den
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