Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
unverzüglich kommen.«
Mrs Jones klingt so dramatisch , dass ich fürchte , Vater oder Tom sei etwas Schreckliches zugestoßen. Ich stürze ins Wohnzimmer und da sitzt Großmama zusammen mit Lady Denby und Simon. Ich komme direkt aus der Kälte. Durch die plötzliche Wärme im Raum droht meine Nase zu tropfen. Ich gebiete ihr , es nicht zu tun.
»Lady Denby und Mr Middleton sind gekommen , um uns einen Besuch abzustatten , Gemma« , sagt Großmama stra h lend. Sie erschrickt , als sie mein derangiertes Äußeres b e merkt. »Wir warten , bis du dich umgezogen hast und sie em p fangen kannst.«
Es ist keine Bitte.
Als ich präsentabel bin , machen wir einen Spaziergang durch den Hyde Park. Simon und ich gehen voran. Lady De n by und Großmama folgen uns in einigem Abstand und geben uns somit die Möglichkeit , uns zu unterhalten , während wir gleichzeitig unter Aufsicht sind.
»Was für ein schöner Tag für einen Spaziergang« , sage ich , obwohl ein paar vorwitzige Schneeflocken auf dem Ärmel meines Mantels landen.
»Ja« , stimmt Simon zu und schenkt mir einen mitleid i gen Blick. »Frisch. Aber schön.«
Schweigen dehnt sich zwischen uns wie ein Gumm i band , das fast zum Zerreißen gespannt ist.
»Haben Sie …«
»Wie …«
»Verzeihen Sie« , sage ich.
»Nein , es war meine Schuld. Bitte fahren Sie fort« , sagt Simon und mein Herz macht einen Sprung.
»Ich habe mich nur gefragt …« Was? Ich habe mich nichts gefragt. Ich habe nur verzweifelt versucht , Konve r sation zu machen und mich als ein geistreiches , amüsantes und schla g fertiges Mädchen zu erweisen , das jede r mann unwiderstehlich findet. Das Problem ist natürlich , dass mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine dieser E i genschaften zu Gebote steht. Es wäre ein Wunder , wenn ich einen Kommentar zum Zustand der Pflaste r steine abgeben könnte. »… wenn … ich meine … ich … sind die Bäume in dieser Jahreszeit nicht wunderschön?«
Die völlig kahlen Bäume grinsen mich zur Antwort an wie hässliche Gnome.
»Doch , ein gewisser Reiz ist ihnen nicht abzusprechen« , erwidert er.
Das Ganze läuft überhaupt nicht gut.
»Es tut mir schrecklich leid , Sie zu belästigen , Mr Middl e ton …« , sagt Großmama. »Ich fürchte , es ist die Feuchtigkeit in meinen Knochen.« Sie hinkt demonstr a tiv.
Simon spielt mit und reicht ihr seinen Arm. »Sie belä s tigen mich ganz und gar nicht , Mrs Doyle.«
Noch nie in meinem Leben war ich für eine Unterbr e chung so dankbar. Großmama ist im siebten Himmel. Sie genießt es , Arm in Arm mit dem Sohn eines Viscounts durch den Hyde Park zu spazieren , wo alle sie sehen können und vor Neid erblassen. Während Großmama bis zur Bewusstlosigkeit über ihre Gesundheit , über den Ä r ger mit Dienstboten und andere banale Dinge redet , wirft Simon mir von der Seite einen Blick zu und ich grinse breit. Er schafft es , sogar einen Spaziergang mit meiner Großmutter in ein Abenteuer zu verwandeln.
»Lieben Sie Opern , Mrs Doyle?« , fragt Lady Denby.
»Nicht die italienischen. Aber ich liebe die Operetten von Gilbert und Sullivan. Hinreißend.«
Ich bin erschüttert über ihren Mangel an Geschmack.
»Was für ein glücklicher Zufall. Am Samstagabend wird im Königlichen Opernhaus Der Mikado gespielt. Wir haben eine Loge. Hätten Sie Lust , uns zu begleiten?«
Großmama bringt keinen Ton heraus und ich fürchte schon , sie ist in einem Anfall von Katatonie plötzlich verstummt. Doch dann merke ich , dass sie vor Glück buchstäblich sprac h los ist.
»Oh ja , wir wären beglückt!« , antwortet sie schließlich.
Ein Opernbesuch! In der Oper war ich noch nie. Heda , ihr reizenden hässlichen Bäume! Habt ihr gehört? Ich werde mi t S imon Middleton in die Oper gehen. Der Wind rauscht in den kahlen Zweigen , sodass es in meinen Ohren wie ferner A p plaus klingt.
Eine prächtige schwarze Kutsche kommt uns langsam en t gegen , gezogen von zwei kraftstrotzenden Rössern , die glä n zen , als seien sie poliert. Der Kutscher hat seinen hohen Hut tief in die Stirn gezogen. Als der Wagen auf gleicher Höhe mit uns ist , schaut der Passagier der Ku t sche aus dem dunklen Innern heraus und grinst mich hämisch an. Über seine linke Wange zieht sich eine Na r be. Es ist der Mann , den ich an meinem ersten Tag in London auf dem Bahnhof gesehen habe und der mir g e folgt ist. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Im Vorbeifahren tippt er mit einem boshaften Lächeln an se i nen Hut. Die Kutsche
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