Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
Also schlaf ein.«
»Schlaf jetzt« , fordert mich Tom aus weiter Ferne auf.
»Wir sehen uns in deinen Träumen« , sagen die Mä d chen , als mich die Droge in ihren Bann zieht.
Ich sehe die Höhlen der Seufzer , aber nicht so , wie wir sie zuvor gesehen haben. Dieser Ort ist keine Ruine , so n dern ein prächtiger Tempel. Ich gehe durch die engen Gänge. Als ich mit den Fingern über die rauen Wände streiche , erwachen die verblassten Malereien zum Leben und leuchten in allen Rot- , Blau- , Grün- , Rosa-und Orangetönen. Hier sind die wichtig s ten Orte des Mag i schen Reichs in Bildern festgehalten. Der Wald der Lic h ter. Die Quellnymphen in ihrer dunklen Tiefe. Der Ga r ten. Die Runen des Orakels , wie sie einst standen. Der goldene Horizont jenseits des Flusses , wohin unsere Se e len reisen müssen. Die Frauen des Ordens in ihren weiten Mä n teln , einander an den Händen haltend.
»Ich habe ihn gefunden« , murmle ich mit lallender Zunge.
»Schhhh« , sagt jemand. »Schlaf jetzt.«
Schlaf jetzt. Schlaf jetzt.
Die Worte wehen durch einen felsigen Gang in meinen Körper , wo sie zu Rosenblättern werden , die über meine bl o ßen Füße auf dem staubigen Boden flattern. Ich st e che mich an einem Dorn , der aus einem Mauerspalt ragt. Blutstropfen r innen von meinen Fingern in den Staub zu meinen Füßen. Dicke grüne Ranken schieben sich durch die Spalten und Ri s se. Sie winden sich blit z schnell in komplizierten Mustern um die Säulen , ähnlich den Kö r perbemalungen der Hadschin. Tiefrote Rosen entfalten ihre Knospen , öffnen sich , erblühen und u m schlingen die Säulen wie die ineinander verflochtenen Finger von Li e benden. Es ist so schön , so schön.
Jemand kommt. Ascha , die Unberührbare. Natürlich. Denn wer könnte den Tempel besser bewachen als diej e nigen , von denen niemand annimmt , dass sie auch nur eine Spur mag i sche Kraft besitzen?
Ascha legt zur Begrüßung ihre Hände aneinander und b e rührt damit ihre Stirn , während sie sich verbeugt. Ich erwidere den Gruß auf die gleiche Weise. »Was bietest du?«
Bietet Hoffnung den Unberührbaren , d enn sie brauchen Hoffnung. Lady Hope. Ich bin die Hoffnung.
Der Himmel reißt auf. Aschas Gesicht ist sorgenvoll.
»Was ist los?«
»Sie spürt dich. Wenn du bleibst , wird sie den Tempel fi n den. Du musst diesen Traum verlassen , Gebieterin. Jetzt gleich!«
»Ja , ich gehe« , sage ich. Ich versuche , der Vision zu en t kommen , aber das Schlafmittel hält mich fest. Ich kann mich nicht bewegen.
»Geh! Schnell« , sagt Ascha. »Hülle den Tempel in de i nem Kopf in Wolken. Sie wird sehen , was du siehst.«
Meine Glieder sind schwer von der Droge. So schwer. Meine Gedanken gehorchen mir nicht. Ich stolpere aus der Höhle. Hinter mir verlieren die Bilder wieder ihre Farbe , die Rosen schließen sich wieder in Knospen ein und die Ranken schlüpfen in die Spalten zurück. Als ich aus der Höhle trete , hat sich der Himmel verdunkelt. Die Räuchertöpfe senden ihre bunten Wölkchen aus wie eine Warnung. Der Rauch teilt sich. Miss Moore steht vor mir mit der armen Nell Hawkins , ihrem Opfer. »Der Tempel. Danke , Gemma.«
* **
Ich schlage die Augen auf. Die Zimmerdecke , geschwärzt vom Gaslicht , kommt in Sicht. Die Vorhänge sind zugez o gen. Ich weiß nicht , welche Tageszeit ist. Ich höre Flü s tern.
»Gemma?«
»Sie hat die Augen aufgemacht. Ich hab ’ s gesehen.«
Felicity und Ann. Sie stürzen herbei , setzen sich neben mich aufs Bett und nehmen meine Hände.
»Gemma? Ich bin ’ s , Ann. Wie fühlst du dich? Wir h a ben uns solche Sorgen um dich gemacht.«
»Es hieß , du hättest Fieber , also haben sie uns natürlich nicht erlaubt zu kommen , bis ich darauf bestanden habe. Du hast drei Tage geschlafen« , sagt Felicity.
Drei Tage. Noch immer so müde.
»Sie fanden dich in der Baker Street in der Nähe von Miss Moores Wohnung. Was hast du dort gemacht?«
Miss Moore. Miss Moore ist Circe. Sie hat den Tempel g e funden. Ich habe versagt. Ich habe alles verloren. Ich drehe den Kopf zur Wand.
Ann plappert weiter. »Bei all der Aufregung hatte Lady Denby keine Gelegenheit , mit Mrs Worthington über mich zu sprechen.«
»Simon war jeden Tag hier , Gemma« , sagt Felicity. »Jeden Tag! Das muss dich glücklich machen.«
»Gemma?« , sagt Ann besorgt.
»Es ist mir egal.« Meine Stimme ist so klein und tr o cken.
»Was soll das heißen , es ist dir egal? Ich hab gedacht , du bist verrückt nach ihm.
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