Der geheime Zoo. Auf der Jagd nach den Yetis
wenn sie einfach geradeaus fuhr, durch den Hintergarten der Hughes’ und dann durch den der Wilhelms, wo sie wieder auf die Straße treffen würde. Um Geschwindigkeit aufzunehmen, stellte sie sich in die Pedale und trat mit ihrem ganzen Gewicht.
«Halt dich fest, Richie!»
Doch Richie hatte nur eine Sorge: «Mein Hiiiiinteeeern!»
Sie schossen am Haus vorbei und rumpelten über die Terrasse. Ella blickte zu den Fenstern und sah, dass alle Lichter aus waren. Sie fragte sich, was Mrs Hughes denken würde, wenn sie Ella mit Richie auf dem Lenker, der lautstark über die Schmerzen in seinem Hintern klagte, über ihre Terrasse sausen sähe, während ein Vogel wütend gegen seine Mütze pickte. Bestimmt würde sie diesen Anblick nicht sehr alltäglich finden.
Ella steuerte um einen Schuppen am Ende des Gartens, schoss über den Rasen der Wilhelms, krachte durch ein paar Büsche und traf dabei einen Gartenzwerg, der seinen Hut und ein Stück seiner Nase verlor. Sie holperte zurück auf die Straße, wobei sie nur knapp an einem rostigen Pickup vorbeischlitterte. Dann beugte sie sich vor und trat mit aller Kraft in die Pedale. Marlo setzte seine Angriffe auf den Bommel fort, während Richie weiterhin über seinen Hintern jammerte.
Ella schoss auf dem Bürgersteig des Walkers Boulevard entlang und bog dann auf den Parkplatz des Zoos ein. Abgesehen von nur wenigen Autos war er leer. Sie näherte sich schnell dem Eingangstor, wo ein Wächter, der Ella und Richie erkannte, aus seinem Häuschen sprang und hastig eines der Tore öffnete. Mit heftigen Armbewegungen winkte er sie hindurch. Ella raste an ihm vorbei und rief ihm ein Danke zu.
Dann fuhr sie über den Hauptweg. Im Handumdrehen waren sie an der Flamingo-Fontäne vorbei und radelten immer tiefer in den Zoo hinein. In den Gehegen, an denen sie vorbeikamen, konnte Ella nichts Ungewöhnliches entdecken – mit Sicherheit nichts, was die Panik ausgelöst haben könnte, die sie in Marlos Augen gesehen hatte. Doch wenige Minuten später, als sie sich dem Haus der Kriechtiere näherten, sprang ein Yeti aus den Schatten und direkt vor sie auf den Weg.
Als das Monster sich zu ihnen umdrehte, kippte Ella zur Seite, und ihr Fahrrad stürzte um. Krallen schlugen durch die Luft und verfehlten nur knapp ihren Kopf. Das Fahrrad krachte dem Yeti zwischen die Beine und brachte ihn zu Fall.
Ella knallte mit dem Kopf auf den Steinboden. Vor ihre Augen traten Sterne, und sie schrie auf, dann wurde es dunkel um sie. Ella lag auf dem Boden und konnte sich vor Schmerzen nicht rühren. Ihre Wange drückte auf den kalten Asphalt, und Blut tropfte aus ihrer Nase. Marlo sprang vor ihrem Gesicht herum, zirpte laut und flatterte mit den Flügeln. Aus ihrer Perspektive sah er riesig aus – viel größer als die Gebäude in der Ferne.
Ella zwang sich, den Kopf zu heben, und sah Richie, der auf dem Boden herumrollte und sein Knie vor Schmerzen umklammert hielt. Neben ihm lag der Yeti, die Beine im Rahmen des verbogenen Fahrrads verheddert.
Gerade als Ella schon zu hoffen begann, dass der Yeti bewusstlos war, hob das Biest den Kopf. Es blickte sich um und starrte sie direkt an.
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29. Kapitel
Aus der Vogelperspektive
P odgy und Noah segelten unter dem Sternenhimmel und über den Lichtern des Zoos entlang. Sie näherten sich dem Flugwald und umkurvten sein gewölbtes Dach. Die Glasscheiben verwischten vor ihren Augen zu einem einzigen, runden und endlosen Stück. Noah sah sein Spiegelbild darin: die ausgestreckten Arme, die flatternde Jacke, die baumelnden Beine. Er sah auch Podgy, der seine Flossen durch die Luft schwang, seinen vorgereckten Schnabel und den hängenden Bauch. Da sie so dicht über dem glänzenden Dach flogen, konnte Noah dem Drang nicht widerstehen, die Hand auszustrecken und es zu berühren. Seine Finger quietschten über das Glas.
Durch die Scheiben sah Noah die hohen Bäume, Wasserfälle, Nebelschwaden und Felsformationen. Der Flugwald war hauptsächlich mit natürlichen Materialien eingerichtet; nur die, die man nicht hatte herbeischaffen können, waren künstlich hergestellt worden.
Vögel hockten auf den Ästen und standen auf den Wiesen. Sie hoben die Köpfe und sahen Noah und Podgy vorbeifliegen. Noah fragte sich, ob sie sich daran erinnerten, wie er das erste Mal ihre magische Welt besucht hatte. Wie viele von ihnen waren wohl dabei gewesen, als die Wolke von Vögeln ihn umhüllt hatte? Wie viele hatten trotz aller Gefahren dabei
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