Der Geheimnistraeger
Laden und rief den Verkäufer zu sich. Der schwarzgekleidete Mann war übergewichtig und bewegte sich langsam. Rasch verschwand Tal hinter dem Tresen und zog die oberste Schublade heraus. Dort lag, wie er richtig angenommen hatte, das Geld. Aber er zog die Schublade zu weit heraus und sie fiel zu Boden. Der Verkäufer bewegte sich zwar langsam, aber er begriff schnell. Mit seinem großen Körper blockierte er Aron den Fluchtweg und hielt ihn umklammert. Tal rannte nach draußen, aber Aron saß fest wie in einem Schraubstock.
Mit dem fünfzehnjährigen Aron hatte die Polizei leichtes Spiel. Im Verhör knickte er fast sofort ein und erzählte alles. Für Tal bedeutete das drei Monate in der Jugendanstalt. Für seine Eltern
bedeutete dies in den engen Verhältnissen Ma’ale Adummims den sozialen Abstieg.
Das Urteil führte auch dazu, dass Tal eine Klasse wiederholen musste. Deswegen begann er seine Wehrpflicht erst mit beinahe zwanzig. Seine Vorstrafe schloss ihn von den begehrenswerten Waffengattungen aus. Im Jahre 1998 begann er als Schütze bei den Panzertruppen. Im Oktober 2000, nur drei Wochen nachdem der zweite Palästinenseraufstand, die Al-Aksa-Intifada, begonnen hatte, erschoss Tal einen achtzehnjährigen Studenten, der einen Molotowcocktail auf seinen Panzer geworfen hatte. Einen Monat später tötete er einen vierzehnjährigen Schuljungen, der bei der Siedlung Netzarim in Gaza Steine geworfen hatte. Um den ersten Toten kümmerte sich niemand, aber der zweite führte zu einer Ermittlung. Vor einigen Offizieren musste Tal seinen Beschluss rechtfertigen. Der Junge war auf den Panzer zugelaufen und hatte einen Stein geworfen. Als der Junge auch einen zweiten Stein geworfen hatte, hatte Tal den tödlichen Schuss abgefeuert. »Schließlich hätte es sich um eine Handgranate handeln können«, sagte er.
Gegen Ende des Jahres begann er freiwillig die Ausbildung zum Offizier. Tal hatte sich entschlossen, Berufssoldat zu werden.
Kurz darauf lernte er Gilah, eine Neunzehnjährige, die in Eretz an der Grenze zwischen Israel und Gaza ihren Wehrdienst leistete, kennen. Ein grüngekleidetes Mädchen. Sie schien ihn zu mögen. Vielleicht mochte sie ihn so sehr, dass sie ihn sogar heiraten würde.
Die Intifada wurde stärker, aber zum ersten Mal sah Tal mit Zuversicht in die Zukunft.
15. Kapitel
Tals Kaserne lag in Shizzafon in der südlichen Negevwüste. Die Ausbildung war hart, aber nach mehreren Jahren als Panzerschütze hatte er auch nichts anderes erwartet.
Wenn er Urlaub hatte, versuchte er Gilah so oft wie möglich zu treffen. Sie wohnte bei ihren Eltern im jüdischen Viertel in der Jerusalemer Altstadt. Wenn er sie besuchte, übernachtete er in seinem alten Zimmer bei seinen Eltern in Ma’ale Adummim.
Manchmal fuhr er stattdessen aber auch sechzig Kilometer weit nach Eilat zum Baden. Eines Abends, neun Monate nach Beginn seiner Ausbildung, besuchte er einen Nachtclub in Eilat. Das war im September 2001 kurz vor dem ersten Jahrestag der Intifada. Wie viele andere Offiziere trug er auch außerhalb der Kaserne eine Pistole. Gegen zwei Uhr nachts betraten drei Männer den Nachtclub. Tal kannte sie, denn sie hatten zu seinem Regiment in Gaza gehört. Die drei setzten sich in einiger Entfernung von ihm an einen Tisch. Tal nahm sein Glas und gesellte sich zu ihnen.
Was dann geschah, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Tal behauptete, einer der Männer habe sich abfällig über seine Freundin Gilah geäußert. Die beiden Freunde des Mannes
behaupteten, es habe sich nur um einen harmlosen Scherz gehandelt, so wie Männer eben über Frauen reden. Eine erregte Diskussion entbrannte, und man bat die vier Männer, den Nachtclub zu verlassen. Der Streit wurde auf der Straße fortgesetzt. Tal behauptete, der andere hätte als Erster seine Pistole gezogen und auf ihn gezielt. Die beiden anderen konnten sich nicht erinnern, wer als Erster seine Waffe gezogen hatte.
Nur eines war sicher. Der Soldat lag, durch einen Schuss aus Tals Pistole getötet, auf der Straße. Tal behauptete, sich verteidigt und keinen tödlichen Schuss beabsichtigt zu haben.
Ein Militärgerichtshof sprach Tal von der Anklage des Totschlags frei. Die Unklarheiten dieses Vorfalls führten jedoch dazu, dass man ihm nahelegte, den Offizierslehrgang abzubrechen.
Tal kehrte nach Jerusalem zurück und fand Anstellung in einem kleinen Hotel. Wegen seiner zunehmenden Schlafstörungen war eine Nachtarbeit naheliegend. Einige Monate
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