Der Geheimnistraeger
bezweifle, dass es sich hier um einen Selbstmord handelt.«
»Vielleicht unummantelte Scharfschützenmunition«, meinte Møller.
»Sieht eher nach einer Bombe aus«, sagte Paulsen. »Aber wie es sich zugetragen hat, kann ich nicht beurteilen.«
Er drehte sich um und erblickte seinen Chef Bjarne Skov mit fünf weiteren Kollegen vom Morddezernat der Kopenhagener Polizei im Anmarsch. Skov nickte Paulsen und Møller fast unmerklich zu und betrachtete dann die Leiche, die seltsam verkrümmt auf dem Pflaster lag.
»Schon etwas in Erfahrung gebracht?«, fragte er.
»Wir sind gerade erst eingetroffen«, antwortete Paulsen.
Skov ließ den Blick über die Absperrung gleiten. »Befragt die Leute, die dort drüben stehen, und versucht, Zeugen ausfindig zu machen«, wies er seine Leute an. »Paulsen, du bleibst hier.« Skov wandte sich an einen Mann, der sich auf ein Knie gestützt über die Leiche beugte. »Sind Sie der Arzt aus dem Rettungswagen? «, fragte er. Der Mann hob den Kopf und schaute hoch.
»Jørgensen«, erwiderte er.
»Okay, Herr Jørgensen«, sagte Skov, »Wir lassen ihn jetzt wegbringen, falls Ihnen nicht noch eine Wunderkur einfällt.«
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, meinte Jørgensen kopfschüttelnd.
»Ein Kriminaltechniker soll noch ein paar Fotos machen. Paulsen, ruf in der Gerichtsmedizin an und sieh zu, dass du einen
Gerichtsmediziner erwischst. Sag, ich will eine Obduktion durchführen lassen, sobald wir im Institut sind.«
Als der Fotograf fertig war, traten zwei Leichenträger heran. Der eine der beiden, der den Oberkörper anheben musste, verzog angewidert das Gesicht.
Im zweiten Stock des Präsidiums versammelten sich Skov, Paulsen, Møller und über ein Dutzend weitere Ermittler des Dezernats zu einer ersten Besprechung. Gut drei Stunden waren seit dem Alarm anlässlich des höchst ungewöhnlichen Todesfalles auf dem Rådhuspladsen vergangen.
»Wir haben ein kleines Problem«, begann Bjarne Skov. Er hatte Platz genommen und sprach sitzend zu seinen Mitarbeitern, die um ihn herumstanden. »Wir haben keine Ahnung, wer der Verstorbene ist. Er hatte keine Brieftasche bei sich. Seine Taschen waren, bis auf einen einzigen Gegenstand, einen kleinen Schlüssel, leer. Dieser steckte in der linken Hosentasche. Wozu er gehört, wissen wir nicht. Die Techniker werden Kopien anfertigen und wollen versuchen, herauszufinden, um was für eine Art von Schloss es sich handelt. Leider hat der Schlüssel einen Griff, der nur aus einem schmalen Ring noch dazu mit abgerundeten Kanten besteht. Die Möglichkeit, dort einen vollständigen Fingerabdruck zu finden, ist also gleich null. Aber vielleicht lässt sich dort wenigstens ein Teilabdruck des Daumens und des Zeigefingers sichern.«
Skov drehte sich um und nahm einen Umschlag von einem Schreibtisch. »Alle Zeugen erwähnen eine Explosion. Auch der Gerichtsmediziner glaubt, dass es sich um eine Bombe gehandelt hat. Die Wundränder ließen darauf schließen, sagte er. Eine Analyse des Körpergewebes und der Kleider wird diese Frage wohl klären.«
Er hob seine Hände. »Da das Gesicht und die Hände das
meiste abbekommen haben, muss er die Bombe selbst in Kopfhöhe gehalten haben.«
»Vielleicht doch ein Selbstmord«, flüsterte Møller Paulsen zu.
»Wir haben einen Zeugen aufgetrieben, der etwas mehr gesehen hat«, sagte Skov. »Ein japanischer Tourist, der sich mit einer Gruppe auf dem Rådhuspladsen befand. Ihr Führer erklärte sich bereit, als Dolmetscher einzuspringen. Der Zeuge glaubte, gesehen zu haben, wie eine Frau dem Opfer genau vor dem Knall einen Fotoapparat übergab. Paulsen hat zu dieser Sache eine Theorie.«
Vincent Paulsen, der auf einer Schreibtischkante gesessen hatte, stand auf, reckte sich und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Ein selbsternannter Experte in Sachen Gebärdensprache aus seinem Bekanntenkreis hatte ihn einmal darauf aufmerksam gemacht, dass er das sehr häufig tat. Das lasse auf ein ausgeprägtes Gefühl der Sicherheit schließen, behauptete der Körpersprachenexperte, da Paulsen nicht das Bedürfnis habe, die Hände vor seinem Körper zu halten, um sich jederzeit verteidigen zu können. Paulsen hatte auf diese Analyse spontan damit reagiert, die Arme vor der Brust zu verschränken, vermutlich um sich gegen weitere Deutungen seines Verhaltens zu wehren.
»Das könnte eine ungewöhnlich schlaue Methode sein, um die Identität des Opfers zu verschleiern«, sagte er. »Ihn zu veranlassen, den Auslöser
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