Der Geheimnistraeger
Male angehalten, um Werbung in seinen Briefkasten einzuwerfen. Der Mann verfolgte die Staubwolke mit dem Blick, ohne sich zu bewegen. Das Fahrzeug näherte sich. Vorne saßen zwei Personen. Der Fahrer bremste und bog zu seinem Haus ab. Vor dem Garagentor des Seitenflügels kam das Auto zum Stehen. Die Person auf dem Beifahrersitz, eine Frau, stieg aus. Der Mann am Taubenschlag betrachtete sie einen Augenblick und ging dann auf das Garagentor zu und öffnete es. Der Fahrer fuhr in die Garage. Anschließend betraten die beiden Männer und die Frau das Wohnhaus. Sie drehten den Schlüssel in der Tür zweimal um.
An diesem Abend klingelte das Telefon des diensthabenden Beamten des Cityreviers am Halmtorvet in Kopenhagen. Er
lauschte und machte ein paar Einträge. »Bringen Sie ihn ins Fundamt«, sagte er in den Telefonhörer.
Er legte auf und sah dann die Kollegin an, die ihm gegenübersaß. »Ein Kinderwagen«, sagte er. »Stand seit gestern vor einem Laden in der Viktoriagade. Was man nicht alles verlieren kann.«
23. Kapitel
Drei Tage später traten die Ermittler immer noch auf der Stelle. Die Fortschritte waren minimal. Sie hatten über zweihundert Zeugen verhört. Drei Personen meinten, den Mann in der Jeans und in dem grünen T-Shirt bemerkt zu haben. Vor dem Tivoli, an der Ampel am H.C. Andersens Boulevard und auf dem Rådhuspladsen. Alle beschrieben ihn als dunkelhaarig und um die dreißig, an mehr konnten sie sich aber nicht erinnern. Nichts an dem Mann war auffällig gewesen. Sie hatten ihn nur flüchtig betrachtet, wie man das bei Leuten tut, an denen man auf der Straße vorbeigeht. Eine Zeugin hatte ihn als recht gutaussehend beschrieben. Sie meinte, er habe braune Augen gehabt.
Wenn sie also den richtigen Mann gesehen hatten, aber nicht einmal das war sicher, dann war dieser aus Südwesten aus der Vesterbrogade gekommen. In dieser Richtung lag hinter dem Tivoli der Hauptbahnhof. Aber bislang waren alle Versuche gescheitert, jemanden zu finden, der ihn vor oder im Bahnhof gesehen hatte.
Unauffälliges Aussehen. Eventuell braunäugig. Zu Fuß aus Richtung Tivoli kommend. Das war alles. Sie konnten sich zu dem Resultat, das dreißig Leute in drei Tagen erzielt hatten, nur gratulieren. Skov raufte sich die Haare.
Die Ermittler zerbrachen sich auch über den Umstand den
Kopf, dass der Tote keine Brieftasche bei sich hatte. Auch eine Razzia bei den aktenkundigen Taschendieben ergab nichts. Skov ließ durch die Zeitungen mitteilen, man suche nach der Brieftasche des Opfers. Ein Dieb hatte vielleicht die Wertsachen aus der Brieftasche genommen und diese dann weggeworfen. Das Opfer konnte sie aber auch verloren haben. Der Aufruf resultierte in einem Berg leerer Brieftaschen, die zum großen Teil jedoch schon lange vor dem Mord gefunden worden waren. Eine Dame aus Rødovre gab eine Brieftasche ab, die sie als Kind auf dem Schulhof beim Fangenspielen gefunden hatte. Inzwischen war sie achtzig Jahre alt und hoffte, sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben zu können. Skov überlegte, ob er sie zurückschicken oder dem Polizeimuseum überlassen sollte.
Einige der Brieftaschen hätten rein theoretisch aufgrund ihres Fundorts dem Opfer gehört haben können. Aber keine enthielt etwas, was zur Identifizierung ihres Besitzers dienlich gewesen wäre. Sie wurden zur Sicherung der Fingerabdrücke an die Kriminaltechniker weitergeleitet.
Møller hatte fünf Mann zur Verfügung, um Schließfächer in Augenschein zu nehmen. Den Hauptbahnhof, Kastrup und die Busterminals, sämtliche Banken und fast alle Hotels hatten sie bereits untersucht. Aber zu einem Sesam-öffne-dich war es noch nicht gekommen.
Vincent Paulsen beteiligte sich nicht an der Schlüssellochsuche. Stattdessen nahm er sich die Autovermietungen vor. War das Opfer mit einem Mietwagen unterwegs gewesen, so war er vermutlich nicht zurückgegeben worden. Ohne Hände und Augen war das schließlich nur schwer zu bewerkstelligen. Einem Autoverleih musste also inzwischen ein Fahrzeug fehlen. Zwei Fahrzeuge fehlten tatsächlich, aber Paulsen stellte rasch fest, dass sie ganz einfach gestohlen worden waren. Die beiden
Leute, die sie gemietet hatten, lebten noch, zumindest waren sie telefonisch zu erreichen.
In diesen Tagen hatte Vincent dreimal in Korsør angerufen. Gut zwei Monate waren vergangen, seit Lydia umgezogen war, genauer gesagt, seit man ihr zu einem neuen Quartier verholfen hatte und sie aus dem Sommerhaus in Tisvildeleje ausgezogen war.
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