Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
sein können. Adoptionsbehörden, Standesamt, die Kirche … was weiß ich. Irgendwo muss es doch Aufzeichnungen über Ihre Großmutter geben.«
»Nicht unbedingt. Wenn sie nicht in die Mühlen der Weißen geraten ist, werden Sie kaum etwas finden. In unserer Kultur hat man jedenfalls nichts schriftlich festgehalten. Das war auch gar nicht notwendig, traditionell wusste jeder genau, wo sein Platz war und mit wem er verwandt war, sei es auch noch so weit verzweigt.«
»Aber damit ist es vorbei, weil die Kinder gestohlen wurden?«
»Zum großen Teil leider ja«, sagte jetzt Mitch. »Du darfst nicht vergessen, dass die weiße Regierung unsere Vorfahren von ihrem Land vertrieben hat. Kinship, unser kompliziertes, aber sehr effektives Verwandtschaftssystem, und das Land, auf dem wir leben, gehören seit Menschengedenken zusammen wie Sonne und Mond.« Kacey sah ihn erstaunt an.
»Was höre ich denn da, Bro? Erzähl mir jetzt bitte nicht, dass du am Ende doch noch ein schwarzes Herz hast?«
Mitch zog eine Grimasse in ihre Richtung, und Natascha hörte sie zum ersten Mal lachen. Dann wandte sich Kacey wieder Natascha zu.
»Hören Sie, ich muss gleich wieder weg. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Anfang nächster Woche hab ich beruflich in Brisbane zu tun. Was halten Sie davon, wenn wir uns dort treffen?« Natascha hob fragend die Augenbrauen. Kacey stand auf, sah wieder auf ihre Uhr.
»In Brisbane laufen alle Fäden zusammen. Ich kenne in der Landeshauptstadt ein paar einflussreiche Menschen, die uns möglicherweise weiterhelfen können. Oder eben auch nicht, aber jedenfalls hätten wir damit alle Möglichkeiten ausgeschöpft, etwas über Cardinia in Erfahrung zu bringen.« Kacey kramte in ihrer Handtasche nach einer Visitenkarte und drückte sie Natascha in die Hand.
»Lassen Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen und rufen Sie mich dann an. Wenn möglich, heute noch, damit ich ein paar Vorbereitungen treffen kann.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber warum wollen Sie das für mich tun?«
Kacey lachte zum zweiten Mal. »Sie meinen wohl, weil ich vorhin nicht gerade viel Freundliches über Weiße zu sagen hatte?«
Natascha zögerte für einen Moment, doch dann erwiderte sie Kaceys festen Blick und sagte: »Ja. Ich hätte nach unserem Gespräch nicht unbedingt vermutet, dass Sie mir weiterhelfen wollen.« Kacey nickte anerkennend, so als gefiele ihr Nataschas direkte Art.
»Ich halte nichts von Sippenhaft. Sie selbst trifft ja keine Schuld, also warum sollte ich Ihnen als Fremde in meinem Land nicht helfen wollen?« Ihre Augen glänzten nun warm. »Und dann ist Cardinia schließlich meine Großmutter. Würde mich schon brennend interessieren, ob ich noch mehr Verwandte habe. Meinen Sie nicht auch?«
Natascha hatte ihrem Blick standgehalten. »Natürlich. Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich ruf Sie dann später an.«
Kacey sah ihnen nach. Als Natascha sie im Rückspiegel nicht mehr erkennen konnte, lehnte sie sich im Sitz zurück und überlegte. Montag nach Brisbane. Eigentlich passte ihr das gut. Morgen früh wollte sie nach Magnetic Island. Sie hätte dann ein ganzes Wochenende auf der Insel und könnte am Sonntag oder sogar erst am Montagmorgen von Townsville aus nach Brisbane fliegen. Sie wäre dumm, wenn sie sich diese Gelegenheit entgehen ließe. Kacey hatte zweifellos recht. Auch wenn sich Kaceys Vermutung bestätigen sollte und Cardinia wirklich keine weiteren Geschwister gehabt hätte, wäre dies ein Fortschritt in ihrer Recherche. Immerhin könnte sie dann ausschließen, dass Amarina ihre Urgroßmutter war. Fast jedenfalls. Kacey hatte ihr ja deutlich zu verstehen gegeben, dass die Aufzeichnungen der weißen Behörden nicht der Wahrheit letzter Schluss waren. Natascha seufzte laut. Diese Suche nach ihrer Großmutter hatte es in sich. Ein Schritt vor, zwei zurück, nur um in einer weiteren Sackgasse zu landen. Wer weiß, was sie in Brisbane noch alles herausfinden würde?
Mitch lächelte sie verständnisvoll an. »A pain in the ass, isn’t it?«
Neu Klemzig, 1903–1904
J ohannes kletterte auf den Stuhl und griff nach einem dicken Ledereinband, der rechts oben im Regal stand. Bevor er ihn Helene in die Hand drückte, blies er den Staub vom Buchschnitt. Helene wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht.
»Entschuldigung. Da hätten wir es also. Das Soll und Haben der Kirchengemeinde Neu Klemzig.«
Helene zeigte auf den Stuhl vor dem bescheidenen Schreibtisch, der unter dem
Weitere Kostenlose Bücher