Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Fenster stand. »Darf ich?«
»Aber natürlich. Die Schreibstube der Kirche gehört ab sofort Ihnen.«
Helene setzte sich auf den harten Stuhl und legte das Buch vor sich auf den Tisch. Sie öffnete es und blätterte darin, bis sie zur letzten Eintragung kam. Dann sah sie Johannes fragend an, der, noch immer auf dem Stuhl stehend, damit begonnen hatte, den Staub von den anderen Büchern zu pusten.
»3. September? Ist das etwa der letzte Eintrag?«
Johannes stellte ein Buch zurück und stieg vom Stuhl. Er beugte sich über ihre Schulter und las. Dann blätterte er nach vorne und wieder zurück.
»Hm, ja. Sieht ganz danach aus. 3. September 1901, ein Markttag.«
»Das war vor einem Jahr.« Helene konnte die Überraschung in ihrer Stimme kaum verbergen. Johannes trat von einem Bein auf das andere, dann atmete er hörbar aus.
»Ja, ist schon eine ganze Weile her. Deswegen sind wir ja auch so froh, dass wir Sie für die Position der Kirchensekretärin gewinnen konnten.« Er strahlte sie unverhohlen an. Helene blickte wieder ins Buch.
»Was ist denn mit dem Kirchenzehnt? Wo sind diese Abgaben denn verzeichnet? Und was besitzt die Kirche überhaupt?« Helene schüttelte den Kopf, während sie mit dem Finger Zeile für Zeile entlangfuhr. Johannes verrückte den Stuhl und kletterte wieder hinauf.
»Was machen Sie denn da?« Helene hatte die Stirn in Falten gelegt und blickte zu ihm auf.
»Ich suche nach der Kiste mit den Abgaben. Wo war die denn noch gleich? Aha. Hier.«
Helene traute ihren Augen nicht, als ihr der Pastor eine Kiste vor die Nase setzte und öffnete.
»Bitte schön, der Kirchenzehnt«, sagte er mit einem triumphierenden Unterton.
Helene blickte abwechselnd von den zerknüllten Banknoten zu Johannes. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass dieser Mann derselbe sein sollte, der in seiner Predigt eine ganze Gemeinde in den Bann ziehen konnte. Wie war es nur möglich, dass ein so intelligenter junger Mann, dessen Führung sich ein ganzes Dorf anvertraute, nicht in der Lage war, die Finanzen der Gemeinde einigermaßen in Ordnung zu halten? Sie stützte ihren Kopf in die Hände und seufzte.
»Wir hatten eine ganze Zeit lang niemanden, der die Bücher geführt hätte, und wie Sie selbst unschwer bemerkt haben, gehören die Finanzen nicht gerade zu meinen Stärken. Es tut mir leid, aber es sieht wohl so aus, als hätten Sie da eine Menge Arbeit vor sich«, meinte Johannes jetzt entschuldigend.
Helene rieb sich die Nasenwurzel. »Ja, sieht ganz danach aus. Dann wollen wir mal. Als Erstes zähle ich das Geld in der Kiste und trage es ein. Ist Ihnen das recht?«
Johannes hob abwehrend die Hände.
»Machen Sie es nur ganz so, wie Sie denken, Helene. Ich vertraue Ihnen vollkommen.«
Helene schluckte. Sie war überrascht, wie selbstverständlich Johannes ihr die Finanzen übertrug. Er hatte wohl eine hohe Meinung von ihrem Können. Wenn er sich da mal nur nicht täuschte! Sie atmete tief ein und aus.
»Also dann.« Sie drehte die Kiste um und schüttete die Noten und Geldstücke auf den Schreibtisch. Im Buch zog sie mit dem Lineal neue Spalten, versah sie mit Überschriften und begann, das Geld zu zählen.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein?«
»Fürs Erste nicht. Es wäre mir allerdings lieber, wenn das Geld auf der Bank läge. Könnten Sie vielleicht dafür sorgen?«
»Natürlich. Normalerweise fahre ich regelmäßig nach Adelaide zur Bank, aber in der letzten Zeit bin ich dazu einfach nicht gekommen.« Er hob entschuldigend die Achseln.
»Das sehe ich«, sagte Helene mit einem Lächeln.
»Wollen Sie vielleicht das nächste Mal mitkommen? Ich wäre sehr froh, wenn Sie die Bankgeschäfte bald übernehmen könnten.«
Helene zuckte innerlich zusammen. Die Bankgeschäfte übernehmen? Damit hatte sie nun wirklich keine Erfahrung. Aber sollte sie deshalb gleich den Pastor enttäuschen? Er schien so große Erwartungen an sie zu haben. Wer weiß? Vielleicht war es am Ende gar nicht so schwer. Es würde sich doch sicherlich erlernen lassen.
»Gern, ich komme gern mit.«
Johannes nickte zufrieden und klopfte ihr auf die Schulter.
»Ich bin sehr froh, dass Ihr Vater Sie hat gehen lassen, Helene. Wir können Sie schon jetzt kaum mehr entbehren. Danke.«
Helenes Wangen wurden heiß. Woher nahm er nur diese Sicherheit? Vielleicht war es nur die pure Verzweiflung, die ihn so vertrauen ließ. Hoffentlich würde sie ihn und Neu Klemzig nicht enttäuschen.
Helene musste sich beeilen, wenn sie das
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