Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Australiens nur ausweichend geantwortet. Erst hatte Helene das Verhalten von Vater und Mutter überhaupt nicht verstehen können, sie dachte anfangs sogar, ein Teil des Briefes müsse auf der langen Reise abhandengekommen sein. Sonst hätten die Eltern doch von der Tochter sicherlich sehr viel mehr wissen wollen. Seit Katharina, ihre ältere Tochter, nicht mehr bei ihnen lebte, hatten sie doch nur noch Helene, und bestimmt wollten sie bald wieder mit der Tochter vereint sein. Sicherlich waren sie schon drauf und dran, ihre Siebensachen zu packen! Daran hatte Helene ganz fest geglaubt.
Doch mit der Zeit war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob es für die Eltern wirklich das Beste wäre, ihr in dieses Land zu folgen. Lag es daran, dass sie nun aus erster Hand und auch am eigenen Leib erfuhr, wie schwer es war, sich auf dem neuen Kontinent eine Existenz aufzubauen? Helene konnte jeden Tag beobachten, wie bitter es mitunter sein konnte, bis die Familien aus Brandenburg mit den Widrigkeiten der unbekannten Umgebung einigermaßen zurechtkamen. Wie mit dieser Hitze, die den Bauern schon seit Dezember zu schaffen machte. Hatten die Felder noch im September dank der reichlichen Niederschläge in sattem Rotbraun geleuchtet, so waren sie Anfang Oktober knochentrocken, und die Bauern bangten um die Ernte im November. Der Himmel war gnädig und hatte rechtzeitig den so dringend erflehten Regen gebracht, doch dann hielt kurz vor der Erntezeit erneut eine Trockenperiode Einzug, wie sie die deutschen Bauern zuvor noch nicht erlebt hatten. Innerhalb einer Woche drohte der Weizen in diesem Sommer förmlich zu verbrennen, und während die Bauern weiterhin um die Hilfe Gottes gegen die Dürre flehten, zog bereits eine neue Gefahr für die Ernte in Gestalt von riesigen Heuschreckenschwärmen herauf. Diese waren nicht nur selbst gefräßig, sondern hinterließen außerdem ihre klebrigen Eier auf den Halmen. Einige Siedler fühlten sich an die achte Plage erinnert, wie sie im zweiten Buch Mose beschrieben wurde. Die Älteren unter den Bauern hatten bereits eine fürchterliche, nur Ödland hinterlassende Heuschreckenplage erlebt, und noch heute stiegen ihnen die Tränen in die Augen, wenn sie davon erzählten. Die Arbeit eines ganzen Jahres war innerhalb weniger Stunden von den geschlüpften Heuschrecken vollständig vernichtet worden. Ohne ihr Gottvertrauen wären sie verzweifelt. Doch glaubten sie fest daran, es gemeinschaftlich und mit Seiner Hilfe zu schaffen, wenn sie nur weiterhin beharrlich diese fremde rote Erde beackerten.
Ob die Eltern dieselbe Glaubensstärke aufbringen könnten? Helene war sich nicht mehr so sicher. Zögerten sie deshalb? Wollten sie etwa gar nicht kommen?
Irgendwann hatte sich in Helenes Trauer und Enttäuschung Wut gemischt – eine Wut, die sie gar nicht mehr verlassen wollte. Hatten die Eltern vielleicht nie ernsthaft in Erwägung gezogen, nach Australien zu gehen, und die Tochter mutwillig über ihre Absichten getäuscht? So viele aus dem alten Salkau lebten mittlerweile in Südaustralien, was hielt ausgerechnet ihre Eltern davon ab, es den anderen gleichzutun? War es ihnen egal, dass die Tochter so weit weg von ihnen lebte und dass sie sich vielleicht nie wiedersehen würden? Helene hatte schwer mit den dunklen Gedanken zu kämpfen.
Als sie nicht mehr wusste, was sie eigentlich noch denken oder fühlen sollte, suchte sie schließlich Hilfe. Sie hatte sowohl mit Gottfried als auch mit Johannes über ihre gemischten Gefühle den Eltern gegenüber gesprochen, und beide Seelsorger waren zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Warum war dieses Leben nur so schwierig? An wessen Rat sollte sie sich nun halten? Insgeheim wusste sie die Antwort schon längst, aber es erschien ihr nicht recht, und so wog sie die unterschiedlichen Argumente wieder und wieder gegeneinander ab.
Gottfried gab zu bedenken, dass ihre Eltern in der Heimat viel aufzugeben hätten. Der Hof lief gut, er war sogar in den letzten Jahren gewachsen, das war auch Helene klar. Aber es ging doch in der lutherischen Gemeinde nicht in der Hauptsache um Gut und Haben, oder? Sicher, die meisten Salkauer, die in den letzten Jahren Richtung Australien aufgebrochen waren, hatten nicht viel zu verlieren gehabt. Sie hatten kleine und kleinste Höfe bewirtschaftet, die meisten auch nur zur Pacht, und als die letzten beiden Winter vor ihrer Abreise ungewohnt hart ausgefallen waren, hatten sie kaum mehr einen Groschen besessen.
Gottfried
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