Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
musste Helenes erschrockenen Blick bemerkt haben, denn langsam und wie absichtslos ließ er die nun wieder geöffnete Hand sinken.
»Nun, dann sollte es jetzt vorgesehen werden. Ich beabsichtige nämlich, auch tagsüber in Sachen Mission Reisen zu unternehmen, wenn es denn nötig sein sollte. Und – mit Verlaub, lieber Bruder – ich habe den Eindruck, dass es mehr als nötig ist, wollen wir in Zukunft mit den Wilden auch nur irgendeinen Fortschritt erzielen. Außerdem, Bruder Georg«, fügte Gottfried nun mit seiner gewohnt leisen und sanften Stimme hinzu, »möchte ich keinesfalls Eure Hilfsbereitschaft mehr strapazieren als unbedingt erforderlich. Die Zeit, die Ihr auf die Fahrten verschwendet, könnte sicherlich sehr viel wirksamer für die Gemeindearbeit in Neu Klemzig eingesetzt werden. Meint Ihr nicht auch, Georg?«
Seine letzten Worte klangen trotz seines leisen Tons bedrohlich, doch Georg blieb unbeeindruckt.
»Wenn das deine Auffassung ist, dann sollten wir bei der nächsten Sitzung darüber mit der Gemeinde sprechen. Wie auch über die anderen Dinge, die du in den letzten Tagen angemerkt hast.«
Gottfried nickte befriedigt und setzte sich wieder gerade hin. Helene atmete auf. Seine Nähe hatte ihr fast die Luft zum Atmen geraubt. Was hatte Gottfried denn nun schon wieder zu kritisieren gehabt? Sie zog die Stirn in Falten. Gottfried hatte sich in den vergangenen Wochen über so manches beklagt, doch meist war es lediglich um Kleinigkeiten wie etwa die Erneuerung seiner Garderobe oder eine neue Bibel gegangen. Alles Wünsche, die man ihm gerne und ohne weitere Worte bewilligt hatte. Doch langsam häuften sich seine Eingaben, und Helene begann sich zu fragen, ob etwas anderes dahinterstecken könnte. Sie würde es ja während der kommenden Sitzung von ihm selbst hören. Als Gemeindesekretärin war sie nämlich auch für das Protokoll aller Versammlungen verantwortlich.
Georg spornte den Gaul an, so als wollte er die Zeit abkürzen, die er neben Gottfried verbringen musste. Helene konnte ihm dies nicht verübeln.
Zionshill lag auf einer bewaldeten Anhöhe, an deren Fuß sich ein kleiner See ausbreitete. Die Eingeborenen nannten ihn »Billabong«, was Wasserloch hieß. Ein Dutzend gemauerter Häuschen drückte sich an die Anhöhe, so als suchten sie deren Schutz. Die Häuser waren kleiner, sahen aber genauso ordentlich und einladend aus wie die in Neu Klemzig. Die Vorgärten waren allerdings nicht zur Zierde da, sondern wurden genau wie der langgestreckte Hintergarten mit allem bewirtschaftet, was das Land um diese Zeit hergab. Die Früchte waren der Beweis für den Fleiß ihrer Gärtner: Salat, Kartoffeln, Bohnen, Gurken, Karotten, Zwiebeln, Erbsen, Kohl und Spinat, Mais und Schwarzwurzel. Die Bedingungen waren gut, allerdings musste man im trockenen Sommer die Pflanzen regelmäßig wässern.
Einer der Siedler, von Hause aus Bauer, hatte herausgefunden, dass man in Australien den Kohl für ganze drei Jahre stehen lassen konnte. Je mehr Köpfe man vom Strunk abschnitt, desto mehr neue Köpfe wuchsen. Der Bauer hatte so aus einer einzigen Pflanze ganze fünf Köpfe gewonnen. Der Bibelspruch habe sich für ihn bewahrheitet, erzählte er Helene einmal voll stolzer Zuversicht, als er seinen Sohn von der Schule abholte: Und jeglicher, der Häuser verlassen oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird Hundertfältiges dafür erhalten und das ewige Leben erwerben.
Einige Siedler hatten aus ihrer Heimat Obstbäumchen importiert, und Helene staunte, als sie Kirsch- und Pfirsichbäume sah, die üppige Früchte trugen. Den Kirschen schien es in diesem Jahr allerdings zu heiß zu werden; sie waren klein und sahen nicht sonderlich saftig aus, doch die andere Steinfrucht hatte sich wohl mit dem heißen Klima angefreundet, die Äste hingen schwer herab vor lauter Obst.
Niemand in Neu Klemzig oder Zionshill musste sich um seine Kühe sorgen, denn obwohl es im Sommer sehr trocken wurde, taugte das Gras zum Füttern noch genauso gut wie Hafer. Die Tiere grasten das ganze Jahr über frei auf der Weide. Abgesehen von den Zuchttieren gab es in der Umgebung reichlich Wild, und anders als in Europa durfte es von jedermann gejagt werden. Auch dies ließ sich genau wie das Gemüse gut auf dem großen Wochenmarkt in der Stadt verkaufen.
Helene lächelte, fühlte sich leichten Herzens. Dennoch wusste sie, dass Zionshill es schwerer hatte als die
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