Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Helene es ihnen erklärt hatte. Helene und Luise halfen den Frauen mit den Decken und sprachen ihnen aufmunternde Worte zu. Helene zitterte, als sie Luise darum bat, sich nun als letzte neben den anderen Frauen hinzulegen.
»Ich bin die Ältere. Eigentlich sollte ich dich zudecken und nicht umgekehrt«, sagte Luise, als Helene ihr die karierte Tischdecke erst über den Kopf und dann über den ganzen Körper legte. Schließlich, als es nichts weiter zu tun gab, als abzuwarten, legte Helene sich zwischen Luise und Anna, die leise vor sich hin wimmerte. Helene strich ihr über den Kopf, dann flüsterte sie für Anna unhörbar in Luises Ohr: »Ich habe Angst.«
Luise tastete nach ihrer Hand, umfasste sie fest.
»Kannst du das Feuer hören? Der Gedanke zu verbrennen …«
»Wo denkst du denn nur hin? Wir werden das überstehen und hinterher lachen wir drüber. Wirst schon sehen!« Luises Hand strich über den zitternden Rücken der Jüngeren. Leise fügte sie hinzu: »Du musst nicht immer so tapfer sein, Helene. Manchmal ist es gut zu weinen.«
Helene nickte.
»Sieh mal, ich lebe schon so lange in diesem fremden Land, und dies ist nicht mein erstes Feuer, und es wird auch nicht mein letztes sein. Wir werden es überleben, glaube mir.« Helene hob den Kopf, drehte ihn zu Luise.
»Ich weiß; ich wünschte, ich hätte deinen Mut.«
Luise lachte auf und musste sofort husten. Sie schlüpfte wieder unter ihre Decke.
»Das überlegst du dir besser zweimal. Weißt du, weshalb ich so furchtlos bin? Weil ich schon tausend Tode gestorben bin, seit ich in diesem seltsamen Land lebe. Vertraue dem Herrn!«
»Ich bin so froh, dass es dich gibt. Du bist für mich wie eine Schwester.« Dankbar drückte Helene die Hand der Älteren.
Ein knackendes Geräusch ließ sie hochfahren, das Helene zunächst nicht zuordnen konnte. Sie lauschte angestrengt.
»Da, schon wieder!«
Jetzt hatten es auch die anderen Frauen gehört und lugten ängstlich unter ihren karierten Decken hervor.
»Risse im Fensterglas. Von der Hitze«, erklärte Luise.
»Unter die Decken, macht schon!«, befahl Helene, die jetzt mit einer Hand nach Luise griff, mit der anderen nach Anna, deren Wimmern lauter wurde:
»Lieber Gott im Himmel, nimm mich, aber bitte nicht mein einziges Kind!«
»Sei ruhig, es wird schon alles gut werden.« Helene drückte Annas Hand noch fester. Rauch, der unter der Tür und durch die Fensterritzen durchkam, breitete sich allmählich in der Küche aus, die ersten Frauen begannen zu husten. Das Feuer war da.
Gott stehe uns bei, dachte Helene nur und begann, mit fester Stimme laut zu beten, bis nach und nach die anderen einfielen.
Krachend schlug brennendes Dachgebälk von einem der Nebenhäuser auf der Straße auf, wo es in mehrere Teile zerbarst. Das Feuer dröhnte den Frauen in den Ohren, von den Gebeten war höchstens noch ein Murmeln zu vernehmen. Sie hielten sich unter ihren nassen Decken an den Händen. Die, die sich noch an das große Feuer von damals erinnern konnten, wussten, dass nicht notwendigerweise jedes Haus niederbrannte. Unberechenbar fraß sich das Feuer durch die Ortschaften, nahm in einer Straße jenes Haus und ließ ein anderes stehen. Launisch wie ein ins Spiel vertieftes Kind raste es beispielsweise eine ganze Straßenflucht hinunter, änderte unterwegs plötzlich seine Meinung, um am Ende der Häuserreihe in seiner Zerstörungswut wieder zuzuschlagen.
Helene versuchte, sich zu überzeugen, dass der lichterloh brennende Dachstuhl des Nachbarhauses nicht unbedingt ihr Ende bedeuten musste. Sie – und sicherlich ebenso wenig die anderen Frauen – glaubte nicht ernsthaft daran, dass die feuchten Tücher irgendeinen Schutz böten, wenn die Großküche in Flammen aufging. Sie glaubte nicht, dass sie dann irgendetwas ausrichten könnte, um sich und die Frauen zu retten. Gott allein würde über ihr Schicksal entscheiden, und ihm vertraute sie sich nun an.
Allerdings ließ die Angst deswegen nicht plötzlich nach. Helene zitterte. Doch dann erinnerte sie sich daran, was sie Johannes versprochen hatte: Sie würde stark sein. Entschlossen hob sie die Stimme und betete lauter.
Und dann wurde es endlich leiser. Nicht ihr Gebet, sondern das bedrohliche Knistern und Züngeln der Flammen. Zwar konnte Helene noch hören, wie ein weiteres Dach in sich zusammenbrach, doch es war nicht länger in ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Feuer war weitergezogen, es hatte sie verschont! Als dies Helene klargeworden war, sprang
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