Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Hause, es wäre zu gefährlich gewesen. Sie teilten Beobachtungsposten ein. Kräftige Windböen, die sich über dem Meer zusammenbrauten, könnten die Flammen schnell vorantreiben, allerdings müsste sich das Feuer in diesem Falle erst noch den Hügel bis nach Neu Klemzig hinauffressen, was die Flammen in ihrer Gier zumindest ein wenig bremsen würde. Die größte Sorge allerdings war, dass das Feuer aus dem Norden, dem Landesinneren kam, getragen vom ofenheißen Wind der Simpson-Wüste, hungrig nach Nahrung. Das Feuer würde sich den Hügel hinabfressen, unausweichlich auf Neu Klemzig zu. Dass es so schlimm nicht kommen würde, darum beteten in jenen Tagen alle.
Kein Zeichen war jedoch mehr gefürchtet als das dritte, denn wenn es sich offenbarte, war es schon zu spät: ganze Herden von Kängurus, Emus, Goannas und unzählige Kaninchen, die über die Koppeln und entlang der Weizenfelder flüchteten. Wenn sie kamen, war das Feuer irgendwo ausgebrochen und rückte näher.
Es waren die Pferde vom jungen Herder, die als Erste im Stall unruhig wurden. Sein Hof war weiter draußen und stand näher als die der anderen am Hang. Später sollte er der Gemeinde erzählen, dass er zunächst gedacht hatte, eine Schlange habe sich in den Stall verirrt und die Pferde scheu gemacht. Doch als er nachschauen ging, stieg ihm der Geruch von Rauch in die Nase. Die Pferde hatten die Gefahr längst gewittert. Er warf die Gabel auf den Boden, eilte aus dem Stall und rannte so schnell er konnte den Hang hinauf. Von dort sah er es. Ein Flammenmeer so breit, dass er nicht hätte sagen können, wo es anfing und wo es aufhörte. Ein Ende war ohnehin nicht in Sicht, das verhinderte die Wand aus dichtem, dunklem Rauch, die bis in den Himmel aufstieg. In ungefähr dem gleichen Moment wie Herder musste ein Beobachtungsposten den Rauch gesehen haben, denn jetzt läutete eine Glocke, und jeder im Dorf wusste, was das zu bedeuten hatte.
Helene saß in der Schreibstube, als sie aus der Ferne das Läuten hörte. Wie immer, wenn sie sich um die Rechnungsbücher kümmerte, war sie hoch konzentriert; sie wollte sich keinen Fehler erlauben. Gottfried hatte es sich nämlich neuerdings zur Aufgabe gemacht, selbst die unwichtigste ihrer Eintragungen zu überprüfen. Warum er ihr dermaßen misstraute, wusste sie immer noch nicht, aber keinesfalls wollte sie zur Zielscheibe für seine mittlerweile schon berüchtigten Zornesausbrüche werden. Ein Wort von dem Kirchenälteren zu ihrem Vater, und sie müsste nach Salkau zurückkehren, so viel war ihr klar. Dabei war eine Rückkehr nach Deutschland für Helene vollkommen ausgeschlossen. Sie konnte sich ein Leben woanders gar nicht mehr vorstellen. Neu Klemzig war jetzt ihre Heimat. Nicht nur der Ort an sich, sondern auch die Summe seiner Menschen, deren vereintes Hoffen auf ein besseres Leben, sowohl im materiellen als auch im spirituellen Sinn, Helene so für sich einnahm. Die Art, wie die Menschen hier zusammenlebten, wie sie sich gegenseitig unterstützten, um gemeinsam ihren Glauben im Alltag zu verwirklichen – das würde sie in Salkau nicht finden. Einen Pastor wie Johannes gab es in Salkau ebenfalls nicht. Wie er die Brüder und Schwestern zusammenschweißte, indem er ihnen immer wieder Mut zusprach, selbst wenn es so aussah, als gäbe es keine Hoffnung mehr. So auch am letzten Sonntag in der Messe, als die Angst vor dem Feuer bereits allenthalben spürbar war. Johannes hatte das verstanden, und so hatte er gar nicht erst versucht, dieses Gefühl kleinzureden, denn die Bedrohung, das wusste er, war allzu real. Er appellierte an Kräfte, die in jedem schlummerten, und erinnerte daran, wie wertvoll diese für die Gemeinschaft waren. Wer sich nicht von den eigenen Ängsten einschüchtern ließ, der konnte sich vorbereiten. Obwohl es ein Sonntag gewesen war, machten sich nach dem kurzen Gottesdienst alle auf, um sich mit erneuertem Mut in die Arbeit zu stürzen. Die Männer, die nicht für die Schneisenarbeit eingeteilt waren, fingen an, die Dächer der Häuser am Rande der Gemeinde aus Schläuchen mit Wasser zu bespritzen. Zwei Fuhrwerke hatten zu diesem Zweck Tanks geladen. Wasser war zwar äußerst knapp, doch wenn die Häuser am Dorfrand erst einmal Feuer gefangen hätten, würden sie erst recht nicht über genügend Wasser verfügen, um den dann um sich greifenden Brand zu löschen. Die Arbeit ging geordnet und ohne große Unruhe vonstatten. Helene glaubte, dass dies Johannes’ besonnener Art zu
Weitere Kostenlose Bücher