Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
können. In dieser einen Stunde waren die Zahlenreihen wie Fliegen im Outback nur so hin und her geschwirrt, am Ende dröhnte ihr der Kopf.
Johannes hatte die Verhandlungen vollständig ihr überlassen. Seelenruhig balancierte er eine Tasse Tee auf dem Knie und blätterte wie abwesend in einer Broschüre des Bankhauses, während es ihr abwechselnd heiß und kalt den Rücken hinunterlief. Mein Gott! Wieso vertraute er ihr dermaßen rückhaltlos? Es war ja nicht so, dass sie besonders viel Erfahrung im Bereich Finanzen aufzuweisen hätte. Erst in Neu Klemzig hatte sie ihr Talent für Zahlen und Rechnungsbücher entdeckt. Und nun saß sie hier in dem beeindruckenden Gebäude mit hochrotem Kopf auf dem schweren Ledersessel, der seine Politur in den hohen Raum ausatmete, und sollte weitreichende Entscheidungen für ihre kleine Gemeinde treffen. Wollte Johannes sich tatsächlich nicht einmischen? Ihr Blick glitt unsicher zwischen ihm und dem stellvertretenden Direktor der Bank hin und her, doch Johannes sah kaum von seiner Lektüre auf. Wenn er es doch tat, dann nur, um ihr aufmunternd zuzulächeln.
Am Ende hatte Helene die Gemeinde deutlich vergrößert, was bedeutete, dass Neu Klemzig in Zukunft wachsen durfte, ja, dass aus dem Dorf sogar eine Stadt werden konnte. Doch Helene hatte das für diesen Zweck von der Gemeindesitzung veranschlagte Budget nahezu vollständig ausreizen müssen.
Als der Landkauf endgültig getätigt war, fuhren sie mit ihrer Ladung zu den Adelaide Markets, wo sie das Wintergemüse und das Steinobst der Bauern zum Verkauf an einem bestimmten Stand ablieferten. Normalerweise liebte Helene die Geschäftigkeit des großen Wochenmarkts, doch die Bankgeschichte setzte ihr nach wie vor zu, und so drängte sie zum baldigen Aufbruch. Johannes lachte sie wegen ihrer Bedenken aus und hatte im Gegenteil darauf bestanden, den Erfolg ihrer Mission im Armadale Pub bei einem Steak und Kidney Pie zu feiern. Hier bestellte er gleich einen ganzen Krug Bier. Sie stießen miteinander an, und während sie an der Theke auf ihren Pie warteten und durstig ihr Bier tranken, füllte sich das Pub zusehends mit Angestellten aus den umliegenden Geschäften, die hier offensichtlich ihre Mittagspause verbrachten. Der Geräuschpegel war ohrenbetäubend, doch zusammen mit dem Bier betäubte das laute Durcheinander der Stimmen Helenes gereizte Sinne auf angenehmste Weise.
Nachdem sie ihr Mittagessen beendet hatten, bezahlte Johannes, und sie brachen auf. Helene genoss die Fahrt durch die Stadt fast wie beim ersten Mal, als sie gerade mit dem Schiff im Hafen angekommen war. Wie damals bewunderte sie auch heute wieder die Stadtfrauen in ihren modern geschnittenen Kleidern. Ihre Röcke reichten nur noch knapp bis zum oberen Rand des Stiefels und zeigten zwischen Schuhwerk und Saum sogar ein ganz klein wenig Bein. Sie sah den Straßenhändlern nach, von denen einige die absonderlichsten Dinge feilboten. Wie der junge Mann an der Ecke Wakefield und Pulteney Street, der lauthals Teetassen anpries, die den Herren der Schöpfung den manierlichsten Teegenuss versprachen, weil ihre Schnäuzer mittels eines eingebauten Bänkchens vor der Feuchtigkeit geschützt wurden, während sie ihren Tee schlürften. Johannes und Helene lachten herzlich über so viel Geschäftssinn, doch dann grollte der Donner vom Meer herüber, und Johannes schnalzte mit der Peitsche, was die Gäule in einen ungemütlichen Trab versetzte. Dunkle Wolken fegten jetzt tief über den Himmel, der Wind hatte zugenommen. Es dauerte nicht lange, und erste dicke Tropfen fielen auf sie herab. Johannes hielt das Gespann an, um das Verdeck aufzuspannen. Keine Sekunde zu früh, denn als er sich wieder auf den Kutschbock schwang, brach die Wolkendecke auf und schüttete ihr Wasser wie aus Kübeln über ihnen aus.
»Wir müssen zusehen, dass wir es noch über den Creek schaffen, bevor er unpassierbar wird. Halt dich fest!« Johannes gab den Pferden die Peitsche. »Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, sitzen wir hier für Tage fest.« Der harte Boden begann, das Wasser aufzusaugen, und weichte schnell auf. Die trockene, rote Erde verwandelte sich zusehends in eine glitschige Masse. Zunächst nur an der Oberfläche, doch dann verloren die Pferdehufe immer öfter ihren Halt; die Tiere sackten fesseltief im braunen Schlamm ein. Helene sah Johannes besorgt von der Seite an, doch der hielt den Blick konzentriert auf den Weg gerichtet.
»Hoffen wir, dass es nur ein kurzer
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