Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
den Klumpen zu Geld machen konnte, um so bald wie möglich in See stechen zu können. War es ihr in den letzten Jahren erlerntes Verhandlungsgeschick, der zuvorkommende Mr. Hardy oder einfach nur Glück? Sie wusste es nicht, doch ihre Wangen glühten vor Stolz, als sie den Juwelier verließ, um sich wie verabredet mit Amarina an der Straßenecke zu treffen. Sie hatte sogar ein wenig mehr für das Edelmetall bekommen, als Parri in Aussicht gestellt hatte. Wieder einmal wunderte sie sich, wie gut informiert Parri zu sein schien.
»Kommt, lasst uns schnell die Karten fürs Schiff kaufen, bevor Mister Hardy es sich vielleicht noch anders überlegt.«
Nachdem sie bei der Gulf Steamship Company drei Fahrten ohne Rückfahrt gebucht und sich darum gekümmert hatte, dass ihre Reisetruhe auf das entsprechende Schiff geladen wurde, kaufte sie für sich, Amarina und das Kind neue Kleider, dann überschlug sie die Finanzen. Sie selbst würde von der Kollekte noch gut einen Monat leben können, Amarina von dem restlichen Erlös aus dem Goldverkauf sicherlich ebenfalls, wobei sie ihr klarmachte, dass sie gar kein Geld brauchen würden, wenn sie erst mal bei ihren Leuten wären. Bei ihren Leuten, die Worte klangen in Helene wehmütig nach. Wenn ihr das Geld ausginge, würde sie mit etwas Glück schon bei Katharina sein, die sie hoffentlich erst einmal aufnahm, bis das Kind zur Welt kam. Weiter konnte und mochte sie nicht denken. Zumal sie keineswegs sicher war, ob die entfremdete Schwester sie mit offenen Armen empfangen würde. In den Momenten, da sie die nagenden Zweifel in ihrem Inneren nicht mehr zurückdrängen konnte, kamen ihr Bedenken. Was, wenn sie überhaupt nicht willkommen war? Was, wenn Katharina sie noch an der Tür abwies? Was dann?
Die Schiffssirene schreckte Helene aus ihren düsteren Gedanken. Vor drei Jahren erst war sie hier im Hafen von Adelaide angekommen. Sie erinnerte sich noch genau an das Hochgefühl, an all die Möglichkeiten, die sie sich damals erträumte, als sie wie heute vom Promenadendeck auf die nahe Küste schaute, und dazu dieses nervöse Kribbeln in ihrem Bauch, wenn sie an die wundervolle Veränderung in ihrem Leben dachte, die sie in dem fremden Land erwartete. Worum sie ihr früheres Ich jedoch am meisten beneidete, war das völlige Fehlen von Angst. Sie war sehr nervös gewesen, aufgeregt, aber ohne Furcht. Helene schüttelte leise den Kopf. Was war nur aus dem sorglosen Mädchen von einst geworden? Aus ihren zahllosen Träumen, aus ihrer unbändigen Lust am Leben?
Ihr Sinn fürs Praktische ermahnte sie, sich an die Realität zu halten. Helene umfasste die Reling fester, so wie sie es damals bei ihrer Ankunft getan hatte. Tief sog sie die salzige Luft ein, bis es in ihren Lungen schmerzte. Kein Gottfried weit und breit, der sie beaufsichtigen oder gar belästigen könnte. Sie atmete nochmals ein. Dann öffnete sie die Schleife ihrer Haube, riss sie sich vom Kopf und warf sie mit einer entschlossenen Handbewegung über Bord. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem blassen Gesicht ab, als sie die dunklen Locken im Wind schüttelte und ihn in ihrem Haar spielen ließ, wie es ihm gerade gefiel.
Bei ihrer Abreise in Adelaide war es sehr heiß und trocken gewesen, doch an den südaustralischen Sommer hatte sich Helene schon einigermaßen gewöhnt, solange sich nur irgendwo ein schattiges Plätzchen fand, an dem sie Zuflucht vor der herabbrennenden Sonne finden konnte. Als sie kurz hinter Brisbane waren, der Hauptstadt Queenslands, hatte sich das Klima schon deutlich verändert. Die Luft fühlte sich feuchter an, ließ sich schwerer atmen, und der Küstenstreifen sah viel grüner und üppiger aus, als Helene es von Adelaide her kannte. Die Regenzeit des tropischen Nordens befand sich auf dem Höhepunkt. Außerdem kam es Helene auf der Höhe von Townsville so vor, als wären die Sommertage hier kürzer, denn schon am späten Nachmittag verabschiedete sich die Sonne mit einem kurzen, aber prächtigen Farbenspiel über der See. Gegen halb sechs am Abend war es bereits stockdunkel. Gottlob verfügte ihr modernes Dampfschiff über elektrisches Licht. Welch ein Luxus! Helene genoss es, beim Schein der Lampe im Salon zu lesen oder mit den anderen Passagieren nach dem Dinner eine Runde Karten zu spielen. Amarina und Cardinia hielten sich derweil auf dem Unterdeck auf, obwohl Helene sie, zugegebenermaßen nur halbherzig, aufgefordert hatte, sie in den Salon zu begleiten. Doch Amarina hatte mit ihrem
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