Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Kirche zeigte, vorausgesetzt, man konnte sich von althergebrachten Vorstellungen trennen. Das Kreuz auf dem Giebel war jedoch eindeutig. Hinter einem der Fenster brannte Licht. Cairns Lutheran Parish, las sie und drückte die Klingel. Einen Moment später hörte sie das energische Klackern von Absätzen auf gekacheltem Boden. Zwischen diesem Geräusch und dem Öffnen der Tür gab es keine Pause, weshalb Natascha erst einmal vor Schreck zurückfuhr, als sich unvermittelt ein Frauenkopf in die Türöffnung schob.
»Ja?«
Zwischen den Brillengläsern der Frau bildete sich eine Falte, während sie den Eindringling musterte.
Natascha entschuldigte sich für den frühen Besuch und fasste ihr Anliegen in wenigen Sätzen zusammen. Während sie sprach, öffnete sich die Tür allmählich ganz.
»Ich bin Rhonda. Möchten Sie auf einen Kaffee reinkommen?«
Natascha nickte dankbar und folgte der gepflegten Erscheinung in die Küche, wo Rhonda den Wasserkocher einschaltete und Pulverkaffee in zwei Becher löffelte.
»Interessante Geschichte«, meinte Rhonda, während sie das kochende Wasser aufgoss. »Davon hat Pastor Edwards mir nie erzählt. Milch? Zucker?«
»Nur einen Schuss Milch, danke. Dann hoffe ich nur, dass ich hier keine Vertraulichkeiten ausplaudere.« Natascha nahm einen Schluck. Der Kaffee war dünn. Rhonda strich sich den Rock glatt, bevor sie sich zu ihr setzte.
»Da machen Sie sich mal keine Gedanken«, winkte sie ab. »Wenn er, wie Sie sagen, die Notiz vor mehr als zehn Jahren hinterlassen hat, dann war er damals schon längst pensioniert. Es ist also möglich, dass ich nichts von irgendeinem vergilbten Zettel auf Palm Island weiß. Aber ungewöhnlich ist es doch.« Sie pustete in ihren Becher. Ihre Brille beschlug, und sie nahm sie ab, um sie zu putzen. Natascha befürchtete mit einem Mal, dass dieser Pastor Edwards vielleicht gar nicht mehr unter den Lebenden weilte.
»Ist der Pastor denn überhaupt noch zu sprechen?«, fragte sie und hoffte, dass es diplomatisch genug klang.
»Natürlich«, strahlte Rhonda. »Der alte Herr freut sich immer über Besuch.«
»Wie alt ist er denn?«
»Sechsundachtzig.«
Nataschas Herz begann, schneller zu schlagen. Sechsundachtzig. Theoretisch könnte er also Helen noch persönlich gekannt haben. Wieder spürte sie, wie die Zeit drängte, und bemühte sich, das Gespräch mit Rhonda abzukürzen.
»Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«
Rhonda schaute zur Wanduhr, die kurz nach acht anzeigte. Sie schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann stand sie auf.
»Warten Sie. Ich muss kurz etwas nachschlagen.«
Natascha trommelte mit den Fingern auf die Resopalplatte, nachdem Rhonda den Raum verlassen hatte. Endlich kehrte diese mit einem Notizbuch zurück. Sie setzte die Brille auf, blätterte vor und zurück, bis Natascha es kaum noch aushielt und mit sich rang, ob sie unhöflich werden sollte. Endlich schaute Rhonda sie über den Brillenrand hinweg an.
»Also, wenn Sie wollen, könnte ich Sie gleich ins Coral Gardens begleiten.«
»Ins Coral Gardens? Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Oh, bitte entschuldigen Sie. Das Coral Gardens ist das Altersheim, in dem Pastor Edwards seinen Lebensabend verbringt.« Rhonda schaute wieder in ihre Kladde und tippte auf die aufgeschlagene Seite. »Um neun ist er mit seiner Ballgymnastik fertig, dann könnten wir ihn dort auf einen Kaffee treffen.«
»Das wäre großartig.«
Rhonda klappte das Buch zu und griff nach ihrer Handtasche. »Kommen Sie, gehen wir.«
Eine Krankenschwester schob den Rollstuhl mit dem zerbrechlich aussehenden Greis auf die Veranda und positionierte ihn unter dem Sonnenschirm, bevor sie die Bremse feststellte. Rhonda hob ihre Stimme, als sie die beiden einander vorstellte.
»Das ist Natascha, Pastor. Aus Berlin. Sie würde sich gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten und dabei die eine oder andere Frage stellen.« Sie hielt kurz inne, und Natascha hatte den Eindruck, als koste sie ihren Wissensvorsprung genüsslich aus. »Es geht um die Nachricht, die Sie vor langer Zeit auf Palm Island hinterlassen haben.« Sein Kinn, das bislang wie erschöpft auf seiner Brust geruht hatte, hob sich, und Rhonda wechselte einen vielsagenden Blick mit Natascha. Ohne sie dabei anzusehen, nickte er kaum merklich in ihre Richtung und deutete mit zittriger Hand auf die Stühle am anderen Ende des Tischs.
»Setzen Sie sich, bitte. Den Zettel hatte ich fast schon vergessen.« Er schüttelte langsam und
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