Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
1914
Liebe Helen,
wir freuen uns, dass Sie uns im Namen der Orta geschrieben haben.
Die kleine Maria ist ein entzückendes Kind, das uns sehr viel Freude bereitet. Hier im nebligen deutschen Herbst denken wir gerne an unsere Zeit auf Palm Island zurück und an das wunderbare Werk, das Gott dort vollbracht hat. Es waren glückliche Tage.
Maria ist gesund und munter. Sie liebt all ihr Spielzeug, mit dem wir sie verwöhnt haben. Seien Sie versichert, dass es dem Kind in unserer Heimat an nichts mangelt. Mit Gottes Hilfe soll dies auch so bleiben.
Helen, nun, da unsere Völker miteinander im Krieg sind, wird es wohl nicht so ohne weiteres möglich sein, den Kontakt aufrechtzuerhalten, doch wir werden unser Bestes tun, um Ihre Briefe zu beantworten.
Der Herr schütze Sie,
Herbert und Irmtraud
Berlin, Weihnacht 1914
Liebe Helen,
vielen Dank für Ihre frommen Weihnachtswünsche! Es ist schon etwas anderes, das Fest unterm Christbaum bei eisigem Wetter zu begehen statt unter Palmen am anderen Ende der Welt. Doch im Grunde ist es natürlich gleich, wo wir das Heilige Fest feiern, solange wir IHN nur im Herzen tragen.
Es ist uns ein Privileg, Maria als gute Christin zu erziehen und sie auf dem Weg der Wahrheit zu begleiten. Ihr australisches Stammeserbe gehört nun der Vergangenheit an. Maria ist auf dem besten Wege, ein sittsames und pflichtbewusstes Gemeindemitglied zu werden, auf das wir alle stolz sein können. Wir behandeln sie wie unser eigenes Kind, und Sie können dem Stamm ausrichten, dass sie sich in Berlin äußerst gut eingelebt hat. Mittlerweile spricht sie fließend Deutsch und geht auf eine der besten lutherischen Schulen unseres Landes.
Ein gesegnetes Fest wünschen Ihnen und den Orta,
Herbert und Irmtraud
Berlin, im Juni 1915
Liebe Helen,
unsere Antwort kommt verspätet und kann auch nur kurz ausfallen. Der Krieg fordert seinen Tribut von uns allen, doch seien Sie unbesorgt: Maria und uns geht es so weit gut. Das Mädchen macht sich hervorragend in der Schule. Richten Sie das bitte dem Stamm aus.
Herzliche Grüße,
Herbert und Irmtraud
Berlin, im Dezember 1918
Liebe Helen,
dies ist nur eine kurze Antwort auf Ihren letzten Brief. Wie Sie zweifellos wissen, ist der Krieg zu einem bitteren Ende gekommen. Wir führen ein ruhiges Dasein in der Provinz, hoffen jedoch, bald wieder unser altes Leben in Berlin aufnehmen zu können.
Maria hat ihren zwölften Geburtstag mit uns gefeiert. Sie hatte eine hübsche kleine Feier mit ihren lieben Freundinnen. Leider können wir sie nicht mehr so großartig beschenken wie früher, doch wir geben ihr all unsere Zuwendung und Liebe. Seien Sie versichert: Es geht ihr gut.
Frohe Weihnachten,
Herbert und Irmtraud
Berlin, im Sommer 1933
Liebe Helen,
Maria hat sich zu einer wunderbaren jungen Frau entwickelt. Noch ist sie nicht verheiratet und sehr in unsere Kirchengemeinde eingebunden. Wir erleben zurzeit interessante Entwicklungen in Deutschland, und es ist aufregend für Maria, Teil dieses Landes und seiner Kultur zu sein.
Helen, wir sind nun an einem Punkt angelangt, da wir glauben, dass wir Ihnen nicht länger von Maria berichten sollten. Glauben Sie uns: Sie ist nicht an der Vergangenheit interessiert, und wir suchen unsererseits auch nicht das Gespräch über eine Zeit, die uns so fern erscheint. Es würde Maria sicherlich sehr aufregen und verwirren, wüsste sie von allen Details ihrer Übersiedelung. Es ist gut so, wie es ist, und daran sollte niemand rühren.
Seien Sie ein letztes Mal versichert, dass Maria ein glücklicher und zufriedener Mensch ist, dem hier alle Möglichkeiten offenstehen. Wir möchten, dass sich daran nichts ändert, und haben beschlossen, in Zukunft nicht mehr auf Ihre Briefe zu reagieren. Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis und wünschen Ihnen und den Orta alles nur erdenklich Gute.
Der Herr sei mit Ihnen,
Herbert und Irmtraud
Berlin, 15. August 1949
Liebe Helen,
vielen Dank für Ihren Brief. Ich weiß Ihre Bemühungen um mich und diesen Stamm in Australien zu schätzen, obwohl mir – und ich weiß, dass dies unhöflich klingt – das rechte Verständnis für den Grund dieser Anstrengungen abgeht. Doch, ehrlich gesagt, suche ich danach auch gar nicht. Verzeihen Sie meine Offenheit.
Vielmehr möchte ich, dass Sie verstehen, wie gut es mir in Deutschland geht. Ich glaube, meine Eltern haben Ihnen dies schon mehrfach mitgeteilt. Abgesehen vom schrecklichen Krieg und seinen Auswirkungen ist mein Leben in Berlin erfüllend und voller
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