Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
nicht so schwer. Schon mal was von Bindungsangst gehört? Die Väter der Psychoanalyse, Freud und Jung, kommen die nicht aus deinem Heimatland?«
»Aus Österreich und der Schweiz.«
»Close enough.«
»Du willst mir also sagen, dass Alan nicht mit mir reden kann, weil er unter Bindungsangst leidet?«
»So in etwa, ja.« Er strich sich übers Kinn und hing eine Weile seinen Gedanken nach, dann kratzte er sich wieder am Kopf. »Verdammt, Alan schlägt mich tot, wenn er erfährt, wie ich hier über ihn rede.«
»Über meine Lippen kommt kein einziges Wort, versprochen.«
Mitch nickte, wie um sich selbst zu versichern, dass er das Richtige tat. Dann nahm er Nataschas Hand zwischen seine und schenkte ihr einen so ernsten Blick, wie sie ihn noch nicht von ihm kannte.
»Die beiden Menschen, die er am meisten liebte und denen er blind vertraute, haben Alan als Kind allein zurückgelassen. Das hinterlässt Spuren. Meiner Meinung nach hat es einen Grund, dass er in einem Business arbeitet, wo man eine oberflächlich gute Zeit mit den Leuten verbringt, um sie dann nie wiederzusehen. Darauf ist nämlich Verlass – findet Alan. Dass die Menschen, die er mag, wieder abhauen, verstehst du?« Natascha nickte mechanisch. Mitch ließ ihre Hand los. Natascha schluckte. Sie glaubte nicht, dass Mitch auch nur ahnte, wie sehr ihr dieses Thema an die Nieren ging. Schließlich wusste sie nur zu gut, was es hieß, verlassen zu werden, auf sich gestellt zu sein.
»Hör zu, Mitch«, sie räusperte sich unbehaglich. »Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen, aber ich brauche ein bisschen Zeit, um über alles nachzudenken. Bist du mir böse, wenn ich nicht mehr über Alan sprechen möchte?«
»Natürlich nicht. Ich muss jetzt sowieso gehen. Das Dinner. Hier, das ist für dich.« Er reichte ihr die in Papier eingewickelte Rolle.
»Was ist das?«
»Mach’s auf.«
Natascha löste das Papier und hielt eine Leinwand in Händen. Sie war im Stil der Aborigines über und über mit Punkten übersät, die zusammen ein abstraktes Muster bildeten. Dot Art. Natascha ließ ihren Blick über das Gemälde schweifen, dann sah sie Mitch an.
»Es ist wunderschön, danke. Wo hast du es her?«
Mitch verbeugte sich ironisch.
»Der Künstler steht vor Ihnen.«
»Du malst?«
»Sollte ich etwa nicht?«
Natascha rollte wieder mit den Augen. »Natürlich sollst du. Ich bin nur ein wenig überrascht, das ist alles.«
»Ich habe in Brisbane Kunst studiert. Irgendwann merkte ich, dass die Akademie nicht das Richtige für mich ist, und bin wieder zurück nach Hause. Die größten Meister, von denen ich gelernt habe, leben in Moondo.« Er setzte sein typisches Grinsen auf. »Apropos. Was du auf meinem Bild siehst, ist Moondo aus der Vogelperspektive. Hier ist der Fluss und da der Billabong, in den die Kids sich von den Lianen fallen lassen.«
Natascha war gerührt und auch ein wenig sprachlos. Sie hatte weder für Debra noch für Mitch ein Abschiedsgeschenk besorgt. Mitchs Bild gefiel ihr, und in Gedanken hatte sie es schon in ihrem Wohnzimmer aufgehängt. Sie umarmte ihn.
»Danke. Ich fühle mich beschämt, weil ich gar nichts für dich habe.«
»Das macht doch nichts. Erwähne mich einfach im Kulturteil deiner Zeitung als das nächste große Ding aus Australien. Das würde mir schon reichen.« Er lachte und hob die Hand zum Abschied. »Mach’s gut, und denk ab und zu mal an mich und meine Leute. Schön, dich zu kennen!« Damit drehte er sich um und ging hinaus. Als hätte er gewusst, dass sie ihm nachblickte, hob er nochmals die Hand.
Natascha schüttelte unter Tränen lächelnd den Kopf und ging auf ihr Zimmer, um zu packen. Sie würde Alan nicht mehr anrufen. Es stimmte, was sie Mitch gesagt hatte: Sie brauchte Zeit, um nachzudenken. Sie war schließlich nicht aus der Welt, wenn sie wieder in Berlin war. Nur auf der anderen Seite.
Palm Island, 8. März 1911,
10 Uhr abends
I rmtraud nahm die Kinder in Empfang. Gottfried sah gleich, dass das hellhäutige Mädchen es ihr angetan hatte. Die Missionarin konnte kaum den Blick von der Kleinen wenden, als Gottfried ihr das schlafende Kind in den Arm legte. Irmtraud war eine gute Seele, wahrscheinlich plante sie schon eifrig die Zukunft des hübschen Mädchens.
»Ich nehme sie zu uns ins Haus«, wisperte sie Gottfried zu. »Sie sieht so zart, so zerbrechlich aus. Ich will nicht, dass irgendjemand ihr weh tut.« Gottfried nickte und legte seine Hand auf ihren Arm, um sie seiner Unterstützung zu
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