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Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Titel: Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Dutton
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Handschrift.
    Irgendetwas beunruhigte Helene, noch bevor sie eine einzige Zeile gelesen hatte. Es war die Präsenz Gottfrieds, seine Anwesenheit in und zwischen diesen Zeilen, die Helene erschaudern ließ. Sie fühlte sich beinahe beobachtet, sprang auf und vergewisserte sich, dass der Türriegel wirklich fest vorgeschoben war, bevor sie sich mit dem Buch im Schoß wieder aufs Bett setzte und zu lesen begann.
    Gottfried verglich in seinen Aufzeichnungen Gemeindemitglieder mit biblischen Gestalten, und er tat dies auf eine Art, die Helene zutiefst erschreckte. So nannte er den Diakon »Lot«, weil er angeblich genauso blind und rückgratlos wie das biblische Vorbild seinem Pastor ins Verderben folgte. Den alten Gösser, der ebenso wie Maximilian noch als Kind nach Australien ausgewandert war, beschrieb er als »Esau«, wegen der roten Haare und auch weil er »nach den Feldern und der Erde stank«, doch vor allem, weil Gottfried ihn für einen Mann hielt, »der seine Großmutter für ein gutes Mahl verkaufen würde.« Der gute Gösser, das hatte er nun wirklich nicht verdient! Und so ging es in einem fort. Jakob Herder nannte Gottfried bösartig »Mephiboseth«, nur weil der Bauer manchmal stotterte, wenn er sehr aufgeregt war. Helene blätterte weiter. Irgendwo musste doch auch etwas über sie stehen. Da!
    Gerade hatte sie ihren Namen gefunden, als es an die Tür klopfte. Sie schlug erschrocken das Buch zu und legte es unter ihr Kissen.
    »Helene, geht es dir gut?«, fragte Anna besorgt.
    »Nur ein wenig Kopfschmerzen, es geht gleich besser, danke«, log sie.
    »Wir sind schon beim Nachtisch. Ich hab dir einen Teller mit Fleisch und Kartoffeln in die Küche gestellt.«
    »Danke, das ist lieb von dir. Ich bin gleich bei euch.«
    Erst als sie hörte, wie sich Annas Schritte auf den Holzdielen entfernten, traute sich Helene weiterzulesen. Die Stelle, an der es um sie ging, fand sie in der Aufregung nicht wieder, dafür blieb sie bei einem längeren Eintrag hängen, der sich um Amarina drehte. Ihr Finger flog über die Zeilen, und sie las, so schnell sie nur konnte:
AMARINA
Schwarz bin ich, doch lieblich, Töchter Jerusalems, wie Kedars Zelte, wie Solomos Teppiche.
 
Eine wahre und verlassene Witwe hat ihre Hoffnung auf Gott gesetzet, und verharret im Gebete und Flehen Tag und Nacht; die aber ein üppiges Leben führet, ist lebendig todt. Und solches schärfe ein, auf daß sie untröstlich seien.
 
Was noch meine Seele suchet, und ich nicht gefunden: einen Mann von Tausenden hab’ ich gefunden; aber ein Weib hab’ ich unter all diesen nicht gefunden.
 
Und als sie ihm reichte zu essen, ergriff er sie, und sprach zu ihr: Komm, liege bei mir, meine Schwester! Und sie sprach zu ihm: Nicht doch, mein Bruder! Schwäche mich nicht, denn also thut man nicht in Israel; thue nicht diese Schandthat! Und ich, wohin sollte ich tragen meinen Schimpf (…)? Aber er wollte nicht hören auf ihre Stimme, und überwältigte sie, und schwächete sie, und lag bei ihr. Und Ammon fassete einen sehr großen Haß gegen sie; denn der Haß, womit er sie hassete, war größer denn die Lieb, womit er sie geliebt hatte: und Ammon sprach zu ihr: Steh auf, gehe! Und sie sprach zu ihm: Nicht doch diese größere Unbill, als die andere, die du an mir gethan, mich zu verstoßen! Aber er wollte nicht auf sie hören.
    Helenes Atem ging so heftig, dass sie kaum noch Luft bekam. Mein Gott! Plötzlich verstand sie, was es mit Amarinas überhasteter Flucht aus Zionshill auf sich hatte. Gottfried hatte der jungen Aborigine Gewalt angetan! Hier stand es ja, kaum mehr als notdürftig verschlüsselt. Helene zweifelte keinen Augenblick daran, dass die Bibelzitate sich auf das Verhältnis zwischen ihm und Amarina bezogen. Er hatte sie weggejagt, als er sich genommen hatte, was er wollte. Wer wusste schon, womit er Amarina gedroht hatte, falls sie sich weigerte. Helene war zumute, als hätte sich vor ihr ein Abgrund aufgetan. Was war das für ein Mensch?
    Ihr Herz raste, und tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Amarina und Daisy waren nicht die einzigen Aborigines, die Gottfried plump angegafft hatte, wie sie sich nun erinnerte. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte Gottfried kaum je eine Gelegenheit ausgelassen, um der Nacktheit der fremden Frauen nahe zu sein. Er war immer gleich zur Stelle, wenn die weiblichen Aborigines sich wieder einmal ohne Kattunkleid im Garten zu schaffen machten. Beobachtete er die Frauen etwa die ganze Zeit über?
    Helene

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