Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
verursacht Schmerz. Ich liebe die Wahrheit, und doch habe ich gelogen, weil ich andere schützen wollte. War das falsch? Die Welt ist nicht so klar unterteilt in Schwarz und Weiß, wie Vater und die Lutheraner es uns immer erzählt haben. Das weiß ich jetzt, und ich weiß auch, dass du nicht falsch gehandelt hast, als du damals deiner Liebe gefolgt bist. Dein Matthias ist sicherlich ein guter Mann, und nur weil er Katholik ist, ist er doch nicht gleich schlecht. Heute ist mir das klar, aber damals habe ich ihnen allen geglaubt. Es tut mir so leid.«
Katharina liefen die Tränen übers Gesicht, und ihre Lippen zitterten.
»Ach ja«, fügte Helene hinzu, »um meine Beichte zu vervollständigen: Gestohlen habe ich auch. Ich habe mir die Sonntagskollekte genommen.«
Unter ihren Tränen prustete Katharina los.
»Was hast du? Du hast die Kollekte mitgehen lassen?« Sie klopfte sich auf die Schenkel. »Das ist ja ein Ding. Wenn ich das Matthias erzähle, der kriegt sich gar nicht mehr ein. Die Kollekte!« Dann wurde Katharina wieder ernst.
»Ich kann nicht glauben, dass es dir auch passiert ist. Meiner kleinen Schwester. Wo du doch immer die Artige warst. Musst du mir denn alles nachmachen?« Katharina sagte dies ohne jede Ironie, es klang beinahe zärtlich.
Helene war zutiefst erleichtert. Und sie fühlte ein tiefes Bedürfnis, der Schwester zu danken, ihr nahezukommen, indem sie ihr gegenüber rückhaltlos offen war. Sie hoffte aus ganzem Herzen, Katharina werde dann erkennen, dass sie nicht alleine war. Nicht mehr.
Meena Creek, 1906
S ie durften auf Rosehill bleiben. Die alten Wunden, die Helene mit ihrer Ankunft aufgerissen hatte, bluteten zwar noch, doch wo Blut war, da war auch Leben. Die Schwestern näherten sich einander vorsichtig an; dennoch fühlte Helene, dass Katharina noch ein gewisses Misstrauen ihr gegenüber hegte. Wäre sie nur schon viel früher zur Schwester gereist und nicht erst, als sie in Not war!
Matthias sahen sie so gut wie nie. Schon bei Sonnenaufgang schlug er sich mit den Zuckerrohrschnittern in die Felder, denn die Erntezeit hatte begonnen, und Arbeitskräfte waren rar. Vor zwei Monaten hatte die Regierung damit begonnen, die Kanaken zurück auf ihre Inseln nach Melanesien zu deportieren. Seitdem war es verboten, schwarze oder asiatische Arbeitskräfte auf den Farmen anzuheuern. Die australische Regierung begründete das Gesetz damit, dass sie fürchtete, das Land werde von Schwarzen und Asiaten überrannt. Doch die Deportation der Insulaner schuf für die Farmer in North Queensland ein gewaltiges Problem: Nur wenige Weiße waren bereit, unter den mörderischen Bedingungen der Tropen auf den Zuckerrohrfeldern zu arbeiten. Jedenfalls nicht für das Geld, das man den Kanaken gezahlt hatte. Matthias nahm jeden Arbeiter, den er kriegen konnte, und heimlich heuerte er hier und da Aborigines an. Anfangs versteckte er noch – wie viele andere Farmer auch – ein paar Kanaken, die nicht wieder auf ihre Inseln zurückwollten. Sie hausten in einer der hinteren Wellblechhütten, doch die Inspektoren der Regierung drangen schließlich gefährlich weit in den Norden vor, so dass Matthias die Insulaner schweren Herzens wegschicken musste. Die drakonischen Geldstrafen hätten ihn bei einer Entdeckung der Arbeiter um die Farm gebracht. Jede brauchbare Arbeitskraft war auf Rosehill also willkommen, und so durften Helene und Nellie bleiben, ebenso Amarina und Cardinia.
Es war Helene ganz lieb, dass sie die Motive der Schwester nicht völlig durchschauen konnte. Vielleicht wollte Katharina im Grunde ihres Herzens gar nicht, dass sie und Nellie blieben? Möglicherweise war es an jenem Abend, als sie einmal Matthias und Katharina streiten hörte, darum gegangen, dass Katharina die Schwester loswerden wollte und Matthias ihr entgegenhielt, wie sehr sie Helene auf Rosehill bräuchten? Sie kümmerte sich um die Bücher, was für Matthias sicherlich eine große Entlastung war. Sie führte den Haushalt, bewirtschaftete den Gemüsegarten und ritt die Felder ab. Sie konnte einigermaßen kochen und backen, übernahm die größeren Einkäufe in Innisfail, machte sogar die Butter. Guter Gott, sie hatte schon ganze Bäume gefällt und würde zur Not auch ein Rindviech schlachten. Körperliche Arbeit machte Helene nichts aus – im Gegenteil.
Ihre Kiste hatte Amarina längst nach Rosehill bringen lassen. Die Träger blieben eine ganze Woche, um gegen gute Entlohnung auf den Feldern zu helfen. Amarina und
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