Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
die Schwester an. Gegen ihren festen Vorsatz füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie sich sogleich mit der Faust wegwischte.
»Nein, der Vater kommt nicht.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihr bei den letzten Worten ein Schluchzen entfuhr. Jetzt endlich umarmte die Schwester sie und streichelte ihr über den feuchten Nacken. Helene lehnte den Kopf an ihre Schulter und schluchzte nun hemmungslos, das weinende Kind zwischen sich und Katharina. Diese klopfte ihr auf den Rücken.
»Ist ja gut. Du kannst mir später alles erklären. Kommt jetzt erst einmal rein, das Kind muss aus der Sonne.« Sie löste sich von Helene und winkte Amarina heran, die sich aus dem Schatten löste und ihnen mit Cardinia langsam folgte.
Das Haupthaus sah nach einem typischen Queenslander aus, wie Helene sie schon aus Cairns kannte. Es war aus weißgestrichenem Holz und stand auf Pfählen – als Schutz vor Termiten und flutartigen Regenfällen. Eine breite Veranda lief um das Haus, auf deren Vorderseite ein Holzgitter angebracht war, von dem sich rotleuchtende Buschröschen bis zum Boden herabrankten. Zu beiden Seiten des Gebäudes standen hohe Palmen; durch ihre langen Wedel rauschte noch immer der Wind. Etwas zurückgesetzt prangte der mächtige Feigenbaum, unter dem Amarina und Cardinia gewartet hatten. Zahlreiche Luftwurzeln wucherten von den Ästen zur Erde herab, wo sie ein bizarres Muster formten. Näher beim Haus standen zwei Mangobäume und ein Zitronenbaum. Eine breite Treppe führte zur Haustür hinauf. In der Verandaecke links neben der Tür befand sich eine Gruppe Korbstühle mit breitgeschwungenen Lehnen, deren Geflecht an einigen Stellen durchlöchert war. Davor stand ein niedriger, abgenutzter Holztisch. Gleich rechts von der Haustür lehnte eine langgestreckte Holzbank an der Wand, daneben quietschten zwei Schaukelstühle im Wind. Das Wellblechdach zog sich tief über die gesamte Veranda und spendete Schatten. Katharina lotste die Schwester zur Sitzbank und wies Amarina mit der Hand den Platz neben der Freundin zu. Amarina und Helene setzten sich.
»Ich hole uns schnell etwas zu trinken, macht es euch so lange bequem.« Mit diesen Worten übergab sie das Baby wieder seiner Mutter und verschwand im Hausinneren. Hinter ihr fiel die Fliegentür mit einem metallischen Klacken ins Schloss.
Helene atmete erleichtert auf. Amarina ergriff ihre zitternden Hände und drückte sie. Helene warf ihr einen dankbaren Blick zu. Wieder knallte die Fliegentür ins Schloss, und Katharina stellte ein Tablett mit einem Krug und drei Gläsern auf den Tisch vor den Korbstühlen. Sie füllte die Gläser mit Wasser und reichte sie den Frauen. »Hier. Ruht euch eine Weile aus, ich schaue eben, ob Peter noch schläft.«
»Peter?«
Katharinas Züge wurden weicher, als sie nun lächelte.
»Ja, mein Sohn. Er ist gerade ein Jahr alt geworden.« Damit verschwand sie wieder im Haus. Helene nahm einen großen Schluck und knöpfte sich dann das Kleid auf, um ihre Tochter anzulegen, die gleich gierig zu saugen begann. Helene lehnte den Kopf an die Wand und schloss für einen Moment die Augen. Der liebliche Duft der Veranda-Röschen stieg ihr kitzelnd in die Nase. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie Insekten, die emsig um die Blüten schwirrten. Der Himmel war wolkenlos, eine sanfte Brise strich über die Bäume hinweg. Am Horizont die Berge, vor ihr endlos weite Zuckerrohrfelder. Ein paar Kühe grasten am Hang, und auf der Koppel dahinter versuchten die Pferde vergeblich, sich die lästigen Fliegen vom Leibe zu halten. Ein Bild so friedlich, dass Helene spürte, wie die Spannung langsam von ihr abfiel. Doch die Idylle konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Helene noch lange nicht mit der Schwester im Reinen war. Sie hatte Katharina noch nicht erklärt, weshalb sie überhaupt bei ihr aufgetaucht war, obwohl die sich bestimmt schon ihre eigenen Gedanken gemacht haben mochte.
»Wenn du magst, leg ich sie zu Peter ins Bettchen. Amarina setzt sich zu den Kindern, und dann können wir reden.« Die Stimme der Schwester ließ Helene aufmerken. Tief in ihre Gedanken versunken, hatte sie gar nicht gemerkt, dass Nellie an ihrer Brust eingeschlafen war. Amarina nahm ihr das Kind ab und folgte Katharina ins Haus. Helene atmete durch. Gleich würde sie also erfahren, ob sie hier willkommen waren oder ob sie neue Pläne schmieden musste. Katharina kam alleine aus dem Haus.
»Sie schläft tief und fest. Wir sollten uns da rübersetzen, damit ich
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