Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
dem Regen trugen, und strich sich das helle Haar aus der Stirn. Neugierig war Helene aufgestanden und beugte sich über die Veranda.
»Was für ein schöner Hund! Seit wann haben Sie den? Ach, bitte, lassen Sie ihn doch rein, oder beißt er etwa?«
Tanner drehte verlegen seinen Hut in den Händen, und als Helene sein Zögern bemerkte, winkte sie ihn heran.
»Na, kommen Sie schon, Tanner! Ich beiße jedenfalls bestimmt nicht!« Helene lachte laut, und Tanner trat mit dem wedelnden Hund durchs Tor. Das Pferd ließ er davor grasen, es würde nicht weglaufen. Sie goss ein wenig Wasser aus dem Krug in ihre Untertasse und hielt sie dem hechelnden Hund hin, der trank, als sei er halb verdurstet. Tanner schüttelte den Kopf und lächelte.
»Darf ich vorstellen. Das ist Digger. Digger, das ist Miss Helene. Ich hab den Stromer letzte Woche auf der Schau in Cairns gekauft, ein echter Ausreißer sag ich Ihnen. Ist wohl schon zweimal weggelaufen, da hat es seinem Herrchen gereicht.« Wie um Tanner Lügen zu strafen, hatte sich Digger mittlerweile ganz selbstverständlich auf der Veranda ausgestreckt und ließ sich die Morgensonne aufs glänzende Fell scheinen. Helene kniete sich neben ihn und kraulte dem Tier den Nacken. Sie schaute zu Tanner hoch, der verlegen von einem aufs andere Bein trat.
»Kann ich Ihnen einen Tee anbieten? Katharina ist mit den Kindern beim Schuster, und Matthias ist wie immer auf dem Feld. Ich schätze also, Sie müssen heute Morgen mit mir vorliebnehmen.«
»Kein Problem, Ma’am. Ein Tee wäre sehr nett, danke.«
Kurze Zeit später saßen sie bei einer Kanne frisch aufgebrühtem Ceylontee in den Korbstühlen. Nellie schlief auf ihrer Decke, der Hund hatte sich danebengelegt und war ebenfalls eingenickt. Ab und zu zuckte eines seiner abgeknickten Ohren, wenn sich die Fliegen auf ihm niederlassen wollten. Helene lächelte bei seinem Anblick, richtete dann ihre Aufmerksamkeit auf John Tanner. Sie mochte ihn. Matthias und Katharina konnten sich glücklich schätzen, diesen stets hilfsbereiten und zuverlässigen Mann als Nachbarn zu haben. Jeder Farmer wusste, dass man auf dem Lande auf gutes Miteinander angewiesen war, doch so mancher vermeintlich gute Nachbar kümmerte sich lieber erst um die eigenen Angelegenheiten, ehe er mit anpackte, wenn auf dem Hof nebenan Not am Mann war. John Tanner war da anders. Er suchte nie nach einer Ausrede, wenn Matthias ihn um Hilfe bat, sondern ließ alles stehen und liegen, wenn man ihn brauchte. In der letzten Zeit war das wegen der Ernte und der fehlenden Arbeiter häufiger vorgekommen, als es Matthias lieb gewesen war, doch umgekehrt packte er bei Tanner natürlich genauso tatkräftig mit an, obgleich der viel seltener auf Hilfe angewiesen zu sein schien. Wann immer Tanner in die Stadt fuhr, um Besorgungen zu machen, versäumte er es nie, zu fragen, ob er den Jakobsens etwas mitbringen könnte. Meist lehnte Katharina ab, weil es ihr mitunter peinlich war, wie oft sie den Nachbarn schon für ihre Zwecke eingespannt hatten. Die Mädchen drängelten dann auch nicht weiter. Nicht, weil sie besonders gut erzogen gewesen wären. Das waren sie natürlich, doch bei Tanner wussten die kleinen Schlingel sehr genau, dass er ihnen ohnehin eine Kleinigkeit mitbringen würde.
Helene betrachtete Tanner aufmerksam. Er sah aus, als wollte er etwas loswerden. Er nippte kurz am Tee und knetete seine Hände, nachdem er die Tasse scheppernd abgestellt hatte.
»Ist etwas, Mr. Tanner? Kann ich Ihnen mit irgendetwas behilflich sein?« Tanner ging sicherlich schon auf die vierzig zu, doch im Moment sah er aus wie ein Schuljunge, der etwas ausgefressen hatte. Er strich sich fahrig über das Grübchen in seinem Kinn, so als müsste er mit etwas rausrücken, traute sich aber noch nicht recht.
»Nein, Ma’am. Es ist nichts weiter. Eigentlich wollte ich mich nur bei Ihnen bedanken. Ohne die Schwarzen hätte ich die Hälfte der Ernte nämlich vergessen können. Das war wirklich sehr, sehr nett von Ihnen.«
»Aber das war doch ganz selbstverständlich.«
Helene war vor einiger Zeit die Idee gekommen, Amarina zu den Orta zu schicken, um diese zu fragen, ob sie gegen guten Lohn und Verköstigung auf Rosehill und bei Tanner aushelfen könnten. Einige der Männer hatten ja früher schon als Schnitter bei den Weißen gearbeitet. Natürlich musste die Sache streng geheim bleiben, daher warf immer jemand ein Auge auf die Baracken, in denen die Aborigines untergebracht waren. Und sobald sich ein
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