Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Fremder den Farmen näherte, galt es, ihn unbedingt von den behelfsmäßigen Unterkünften fernzuhalten. Heute, wo die Familie in die Stadt gefahren war, hatte Helene diese Aufgabe übernommen.
»Das mag schon sein, aber Tatsache ist nun mal, dass Sie diesen ganz besonderen Draht zu den Orta haben. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Schwarzen ohne das Vertrauen zu Ihnen überhaupt aus dem Dschungel rausgewagt hätten. Jedenfalls …« Tanner trommelte jetzt nervös mit den Fingerspitzen auf die Armlehne. »Also als kleines Dankeschön und weil ich weiß, dass Rosehill einen Hütehund gebrauchen kann, hab ich Ihnen Digger mitgebracht. Er gefällt Ihnen doch, oder?« Er grinste jetzt erleichtert, als er sah, dass Helenes Wangen sich vor Freude rot färbten. Sie wusste zunächst gar nicht, was sie sagen sollte, und strich Digger über den Rücken, um Zeit zu gewinnen. Ein Hund! Sie hatte nun ihren eigenen Hund! Das wäre so etwas wie eine weitere Wurzel, die sie auf Rosehill schlagen würde. Nellie und ihr ging es gut hier, aber sie war sich nicht sicher, ob sie auf Dauer bleiben sollten. Es war schließlich das Heim der Schwester und nicht ihr eigenes. So wohl sie sich auch im Moment fühlte, es war ihr immer bewusst, dass sie nur ein Gast war. Wenn sie sich mit Katharina jemals zerstreiten sollte, würde sie gehen müssen. Auszuschließen war das nicht, denn die Schwestern klammerten noch immer bestimmte Themen in ihren Gesprächen aus. Die Eltern, den Glauben. Irgendwann würden sie auch darüber sprechen müssen, und dann könnte es sein, dass sie einander verletzten – so sehr, dass es vielleicht keine Versöhnung mehr geben könnte. Wäre es von daher nicht klug, es gar nicht so weit kommen zu lassen, sondern vorher zu gehen und sich ein eigenes Heim zu schaffen? Helene dachte oft darüber nach, wenn sie nachts wach lag und unschlüssig war, wie es mit ihr und Nellie weitergehen sollte. Doch in der letzten Zeit häuften sich die Anzeichen, dass sie im tiefsten Inneren bereits eine Entscheidung gefällt hatte. Vor zwei Wochen erst hatte sie die Bäumchen für die Schmetterlinge unter ihrer Fensterbank gepflanzt. Wer pflanzte schon einen Baum, wenn er vorhatte weiterzuziehen?
Und nun schenkte ihr Tanner diesen wunderschönen Border Collie. Digger öffnete träge ein Augenlid bis zur Hälfte und grunzte zufrieden, bevor er es wieder schloss.
Helene hob ihren Blick und lächelte Tanner an.
»Ja, Digger gefällt mir sehr. Bestimmt kann er uns dabei helfen, unerwünschte Gäste zu vertreiben. Was meinst du Digger, würde dir das gefallen?« Sie tätschelte sanft seinen Kopf. Der Hund gähnte und wedelte faul mit dem Schwanz.
»Dann ist es also abgemacht. Ich schleich mich mal vom Hof, solange Digger noch döst.« Tanner erhob sich vorsichtig aus dem knarzenden Sessel. Er war schon auf den Stufen, als er sich zu Helene umwandte. Tanner räusperte sich, doch er vermied den direkten Blick.
»Ach, eh ich es vergesse. Falls Ihnen mal die Decke auf den Kopf fallen sollte … ich könnte Sie gerne mal mitnehmen. An jedem letzten Samstag des Monats ist doch Tanz in der Stadt. Wenn Sie also mal rauswollen oder so, dann geben Sie einfach Bescheid.« Er setzte den Hut auf, und ohne ihre Antwort abzuwarten, machte er sich auf den Weg.
Verwundert sah ihm Helene nach.
Magnetic Island, 23. Januar 2010
N atascha hatte sich für einen Shortie entschieden, einen dünnen Drei-Millimeter-Tauchanzug, der Arme und Beine freiließ. Hanne, eine hübsche Blondine aus Wolfsburg, hatte ihr auch mit dem Rest der Ausrüstung geholfen. Jetzt saß Natascha in Shortie und Tauchweste auf dem Mäuerchen vor dem Tauchshop und wartete auf Alan. Zu ihren Füßen lagen Maske, Schnorchel und Flossen Größe zweiundvierzig.
»Du lebst auf großem Fuß«, hatte ihre Mutter oft gesagt, da war Natascha erst in den Kindergarten gegangen. Der warnende Unterton war natürlich scherzhaft gemeint, aber seit Natascha den doppelten Sinn dieser Worte verstanden hatte, verband sie immer ein diffuses Gefühl von Größenwahn mit dem Anblick ihrer langen Zehen. Als hätte sie sich ihre Extremitäten aussuchen können.
»Pass auf, mein Kind, dass du nicht über die eigenen Füße stolperst!« Ach, Mutter!
Natascha atmete hörbar aus, auch weil der Tauchanzug sie beengte. Das müsse so sein, hatte diese Hanne gemeint, während sie den Reißverschluss im Rücken in einem Ruck zuzog. Das gelang nur, weil Natascha die Luft angehalten hatte. Jetzt war ihr
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