Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
einen Aborigine, gelinde gesagt, keine gute Idee.«
»Was droht denn demjenigen, der das Tabu bricht?«
»Wer es bricht, wird im schlimmsten Falle zu einem grausamen Tode verurteilt. Es könnte aber auch sein, dass der Verräter besungen wird und einen langwierigen, schleichenden Tod stirbt.«
»Besungen?«
»Ja, schwarze Magie, wenn Sie so wollen. Sie können selbst heutzutage lange suchen, ehe Sie einen Aborigine finden, der davor keinen Respekt hätte – egal, wie verwestlicht er Ihnen erscheinen sollte.«
»Das ist ja beängstigend.«
»Genau das soll es ja auch sein. Soziale Kontrolle, und es funktioniert seit Jahrtausenden. Die Aborigines schweigen sich über ihr Heiligstes aus, und da ihre Kultur auf mündlicher Überlieferung gründet, haben wir eigentlich nichts, worauf wir unsere Forschungen stützen könnten. Und das ist ganz im Sinne der Aborigines.«
»Bis auf die Artefakte. Die helfen Ihnen weiter, richtig?«
Die Wissenschaftlerin nickte. Sie kam um den Tisch herum und lehnte sich gegen die Tischkante.
»Natascha, ich möchte, dass Sie sich überlegen, den Tjuringa zurückzugeben. Ich weiß, das ist kein leichter Schritt für Sie, aber bitte hören Sie mir zu.«
»Sie wollen mein Amulett behalten?« Natascha fuhr auf.
»Ja, das heißt, nicht ich. Australien will es zurück. Das National Museum of Australia in Sydney hat ein Programm, das sich um die Rückführung von Fundstücken wie dem Ihren kümmert. Brian Hurst, der Kurator des Repatriation Departments dort, ist ein guter Freund von mir. Erst letztes Jahr hat er die erfolgreiche Rückgabe eines Tjuringa aus einem Museum in Seattle betreut.«
Natascha runzelte die Stirn. Eigentlich war sie nicht nach Australien gekommen, um noch mehr zu verlieren. Das Amulett hatte ihrer Großmutter gehört, warum sollte sie ihren Privatbesitz einem Museum in Sydney schenken?
»Schauen Sie, Natascha. Viele Artefakte, die in Privatbesitz sind, wurden vererbt oder im guten Glauben verschenkt. Alles, worauf wir hoffen können, ist, dass Menschen wie Sie sie eines schönen Tages zurückgeben.«
Natascha sah Jennifer an. »Und warum sollte ich das Ihrer Meinung nach tun?«
»Weil Sie ein gutes Herz haben und spüren, dass Ihr Amulett hierhergehört. Auf den Boden der Wajtas.«
Natascha überlegte.
»Angenommen, ich tue, was Sie empfehlen. Was passiert dann mit dem Amulett?«
»Brian würde sich mit Ihnen in Verbindung setzen und Ihnen die Prozedur ausführlich erläutern. Wahrscheinlich wird er das Amulett in einem speziellen Raum unterbringen, zu dem nur bestimmte Leute Zugang haben. Dann wird er Stammesältere aus Südaustralien konsultieren, um gemeinsam mit ihnen zu beraten, wie das Amulett kulturell angemessen aufbewahrt und gemanagt wird. Wahrscheinlich wird das Museum das Amulett an die rechtmäßigen Erben des Wajtas-Landes zurückgeben, also an Aborigines, die in einer direkten Linie mit den Wajtas stehen.«
Natascha schluckte. Das hörte sich alles sehr vernünftig an, aber es bedeutete, dass sie ein Opfer bringen müsste, und sie wusste nicht, ob sie dazu bereit war. Jennifer drückte ihr zwei Visitenkarten in die Hand.
»Rufen Sie mich oder Brian jederzeit an, wenn Sie Fragen haben, und lassen Sie sich ruhig Zeit mit Ihrer Entscheidung. Das Amulett war so lange verschwunden, da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht mehr an.« Sie lächelte Natascha aufmunternd zu und gab ihr das Amulett zurück. »Werden Sie es sich überlegen?«
Kieselsteine knirschten unter den Reifen, als Debra den Wagen am Straßenrand parkte. »Näher kommen wir mit dem Auto leider nicht ran, oben gibt es keine Haltemöglichkeit, und nur autorisiertes Personal darf auf dem Gelände selbst parken. Aber zu Fuß können wir uns bis zum Eingang vorpirschen, und von dort können Sie wenigstens einen Blick durch den Zaun werfen.« Die beiden Frauen marschierten den Hügel hinauf, Debra unter ihrem Schirm, Natascha mit Baseballkappe. Hinter ihnen lag der Onkaparinga; in seinem breiten Flussbett verlor sich ein dünnes Rinnsal schmutzigen Wassers. Nach etwa dreihundert Metern erreichten sie die Einfahrt des umzäunten Geländes. Debra blieb keuchend stehen und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie aus ihrem geräumigen Rucksack gefischt hatte. Sie wischte sich über den Mund und hielt Natascha die Flasche hin.
»Wie unaufmerksam von mir, hier!«
Dankbar griff Natascha zu. Während sie trank, wies ihr Kinn in Richtung Eingang. Sie setzte die
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