Der geheimnisvolle Gentleman
bereits Zutritt zu den Gemächern des Prinzen!
Und dann hat sie in meinen Armen gelegen, für die unglaublichste, absolut bedeutungsloseste Nacht meines Lebens.
Nein, er musste sich auf seine Pflicht konzentrieren. Wenn er das nicht konnte, musste er von seiner Position als Löwe zurücktreten.
Der Löwe zu sein war das Einzige, was ihm geblieben war.
Marcus holte ihn im Flur ein. »Was hast du herausgefunden? Glauben sie, dass Olivia entführt worden ist? Du musst mehr Männer losschicken, um sie zu suchen, Dane!«
Kopfschüttelnd ging Dane langsam den Flur hinunter. Er verspürte in seinem Innern einen Schmerz, als würde jemand mit einem stumpfen Messer Löcher in ihn bohren.
»Du willst das Schlimmste von ihr denken! Warum?«
Dane ging weiter, Marcus blieb ihm auf den Fersen, nicht
willens, ihn so davonkommen zu lassen. »Weißt du, ich glaube, ich habe dich gerade durchschaut. Du bist ein Feigling. Du glaubst, wenn du Gefühle zulässt, wirst du so schwach wie dein Vater. Sie hat nicht mal ihren Umhang mitgenommen. Also jetzt mal ehrlich, Dane, glaubst du wirklich, dass Olivia eine Spionin ist?« Marcus sagte das so, als wäre es völlig undenkbar.
Dane sah seinen Freund mit leerem Blick an. »Ihre Eltern haben zugegeben, für die Schimäre zu arbeiten. Sie haben die ganze Zeit ihre Befehle ausgeführt. Sie wurde als Lockvogel eingesetzt, um mein Herz zu gewinnen, oder zumindest meine Leidenschaft, um mich im Sinne der französischen Seite zu beeinflussen.«
Marcus wurde blass. »Das ist nicht dein Ernst.«
Dane schaute ihn starr an. »Es stimmt mich nachdenklich, wie jemand so genau wissen konnte, was ich von einer Frau erwarte. Die Informationen müssen von jemandem gekommen sein, der mich sehr gut kennt.«
Marcus wich zurück. »Meinst du etwa mich?«
Dane neigte den Kopf zur Seite. »Wenn du dich angesprochen fühlst …«
»Wie überaus schmeichelhaft.« Marcus’ Augen verengten sich. »Aber du übersiehst da jemanden, jemanden, der dich besser kannte, als ich dich je kennen werde.«
Überrascht stellte Dane fest, dass Marcus Recht hatte. Es gab einen Menschen, der ihn in- und auswendig gekannt hatte. Sein Vater.
Er fuhr sich über das Gesicht. »Gütiger Gott! Glaubst du wirklich, dass die Pläne der Schimäre so weit zurückreichen?«
»Warum nicht? Er war drei Jahre lang in der ein oder anderen Position bei den Liars angestellt. Ich glaube kaum, dass er die ganze Zeit tatenlos zugesehen hat.«
Ein Netz aus Intrigen hatte die Schimäre um sie gesponnen, das sie alle aneinander fesselte und auseinanderriss.
Ihr war kalt. Das war das Erste, dessen Olivia sich bewusst wurde. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr Schädel gebrochen und ihr Bein stünde in Flammen. Oder war es etwa umgekehrt?
Wie auch immer, alles war falsch. Wenn sie verletzt war, müsste sie nicht in ihrem Bett in Cheltenham, nein, London … Kirkall liegen? Petty würde ihr Suppe bringen und ihre Schwärmereien für Sumner …
Sumner.
Sumner war ein Spion.
Schnell setzte sie sich auf, aber genauso schnell drehte sie sich auf die Seite und erbrach sich. Das Schwindel erregende Drehen hörte nicht auf, doch es gelang ihr, sich von der widerlichen Schweinerei abzuwenden.
Sie versuchte zu kriechen. Heißer Schmerz durchschoss ihr Bein und raubte ihr die Sinne. Mit einem heiseren Schrei brach sie wieder zusammen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Sie blieb schwer atmend liegen, bis sie wieder etwas klarer denken konnte.
Mit einer Hand untersuchte sie ihr Bein. Ein blutverschmiertes Loch war in ihrem Rock. Man konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich ein ebensolches auch in ihrem Oberschenkel befand.
Sie schluckte. Vielleicht würde sie sich später darum kümmern. Sie ließ die Hand sinken und legte den Kopf vorsichtig wieder ins Laub.
Sie war in einem Wald. Über ihr bildeten fast kahle Baumkronen einen dunklen Kreis gegen den grauen Himmel. Der Wind ließ sie hin und her schwanken. Sie schloss die Augen, bevor die Bewegung sie wieder aus dem Gleichgewicht bringen konnte.
Wie lang lag sie schon hier? Sie öffnete wieder die Augen, beim Anblick des Himmels verspürte sie jedoch nur den Drang, sich wieder zu übergeben.
Sie befühlte ihren Hinterkopf. Die Beule war erschreckend groß und von geronnenem Blut überzogen. Vorsichtig drehte
sie den Kopf und sah Blut auf einem halb im Erdreich verborgenen Felsbrocken von der Größe eines Käselaibes. Sie hatte Glück gehabt, noch am Leben zu sein. Sie war also lange
Weitere Kostenlose Bücher