Der geheimnisvolle Gentleman
äußerlich. Das Mädchen war nie eine Freundin von ihr gewesen, sie hatte gewusst, dass Olivia es mit ihren schneidenden Bemerkungen und bösartigen Spielchen nicht aufnehmen konnte. Sir Hackerman hatte seinen Titel käuflich erworben, genauso wie er Lord Walter Cheltenham für seine Tochter gekauft hatte. Cheltenham brauchte das Geld der Hackermans zu dringend, als dass dabei auf etwas so Unbedeutendes wie Olivias Gefühle Rücksicht genommen werden konnte.
Olivia lächelte. »Durchgehende Pferde sind ziemlich veraltet, nicht wahr? Nichts zeigt einem Mann mehr, dass man sich für ihn interessiert, als ein Sprung in die Themse.« Festzustellen, dass Cheltenham auch ohne die Hackermans auskommen würde, war jede von Mutters quälenden Ermahnungen wert.
Miss Hackerman zögerte. Offenkundig musste sie über diese Strategie nachdenken. Olivia neigte den Kopf und nahm eine leicht gelangweilte Haltung ein. »Ihr müsst noch etwas anderes auf dem Herzen haben, Abbie.«
Ihr Gegenüber ließ den Blick schweifen. »Äh, ja. Ich hatte gehofft, ich könnte Lord Wallingford vorgestellt werden.«
»Ich bin mir sicher, dass es Mutter ein Leichtes ist, das zu arrangieren.«
»Äh. Ja.« Miss Hackerman hielt inne und wartete darauf, dass Olivia ein Licht aufgehen würde. Doch sie hatte längst verstanden. Augenscheinlich war Miss Hackerman nicht damit zufrieden, von Lady Cheltenham, einem respektierten, andererseits keineswegs hochstehenden Mitglied der Gesellschaft, vorgestellt zu werden. Miss Hackerman war auf die unausgesprochene Befürwortung von Greenleigh aus.
Es war ein interessantes Gefühl, gesellschaftlich so viel Macht zu besitzen. Olivia bezweifelte, dass sie sie oft benutzen würde, außer vielleicht dieses eine Mal. Sie erhob sich würdevoll und fühlte sich mit einem Mal vollkommen im Reinen mit der Tatsache, dass sie die zierliche Erbin überragte.
»Nun, ich nehme an, Ihr wollt Euch zu Mutter begeben.«
Dunkle Gewitterwolken zogen hinter der hübschen Stirn auf. Miss Hackerman platzte fast vor Zorn, aber sie konnte nichts tun.
Es war wahrlich ein wunderbarer Augenblick.
»Ja, also, das werde ich wohl tun.« Mit einem heftigen Rascheln ihrer teuren Röcke war Miss Hackerman verschwunden.
Nur schade, dass dies nicht für immer war.
Olivia seufzte. Das Abendessen würde schlimm werden, davon war sie überzeugt.
Dane beobachtete seine Tischgenossen mit gerunzelter Stirn. Eine so bunt zusammengewürfelte Gesellschaft war ihm noch nie untergekommen.
Selbstverständlich saß Lord Cheltenham am Kopfende des Tisches, mit Dane zu seiner Rechten. Neben Dane saß Olivia und an ihrer anderen Seite lümmelte sich Lord Wallingford, der bereits heillos betrunken war. Dann kamen Lady Reardon, Marcus und schließlich Lady Cheltenham am Fußende des Tisches. Stanton Horne, der Marquis von Wyndham, hatte
zu Lord Cheltenhams Linker Platz genommen, mit einem angestrengt aussehenden Nate neben sich.
Und schließlich war da noch Miss Hackerman, ebenjene, die Dane von ihrem durchgehenden Pferd retten musste. Jetzt, da er einen Abend in der Anwesenheit des Mädchens hatte verbringen müssen, konnte er die Abneigung des Pferdes gut verstehen.
Vier Spione, ein einsilbiger Lord, eine nervtötende Erbin, ein unausstehlicher junger Flegel, zwei sehr ansprechende Damen, obgleich Olivia heute Abend kaum etwas gesagt hatte, und des Teufels Großmutter.
Dane ertappte sich dabei, wie er voller Erwartung auf das Schlagen der Uhr im Flur lauschte. Bald würden sich die Damen entschuldigen und die Herren die Zigarren auspacken. Dane hatte diesen Abend arrangiert, um ein außerplanmäßiges Treffen der Royal Four abzuhalten. Wenn sie sich Cheltenham und Wallingford vom Hals schaffen konnten, könnten die Kobra, der Löwe und der Falke Danes Plan bezüglich Prinz George besprechen.
Wenn es Dane gelang, die anderen zu überzeugen, könnte er ein Quorum einberufen. Sie hatten kaum eine Wahl, denn der Fuchs lag im Sterben. Lord Barrowby hatte noch keinen Nachfolger benannt, und ihre Späher hatten keinen möglichen Kandidaten ausgemacht. Falls Barrowby seiner Pflicht nicht nachgekommen war, würden die Vier große Probleme bekommen.
Der Premierminister, der England früher als Kobra gedient hatte, würde wahrscheinlich darum kämpfen, seinen eigenen Kandidaten für die Position durchzusetzen. Offen gestanden war Dane Liverpools konstante Einmischung in die Arbeit der Royal Four leid. Nate war Liverpools Nachfolger geworden, nachdem
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