Der geheimnisvolle Gentleman
Lord Etheridge zurückgetreten war, um die Leitung des Liar’s Club zu übernehmen, aber glücklicherweise war Nate nicht geneigt, vor seinem ehemaligen Lehrmeister zu kuschen.
Weder Dane noch die anderen wollten, dass Liverpool
eine Chance hatte, jemanden einzusetzen, der ihm weiterhin loyal ergeben war.
Dane schaute zu Marcus hinüber, der sich tapfer bemühte, Miss Hackermans Klagen und Einwänden gegenüber aufmerksam die Fassade zu wahren. Marcus würde einen guten Fuchs abgeben, obwohl sich dessen Pflichten von denen des Löwen unterschieden. Marcus war brillant und England bis zum Äußersten ergeben. Er verdiente mehr, als seine Tage als Danes ewiger Protegé zu verbringen.
Leider bedeutete dies, dass Dane mit der Suche nach einem Assistenten wieder ganz von vorne anfangen müsste. Und es gab wirklich keine gute Auswahl an Kandidaten. Die meisten jungen Lords dieser Tage glichen Wallingford: betrunken, dumm und nutzlos.
Falls es Dane erlaubt werden würde, sich in den Reihen der Bürgerlichen umzusehen, würde dies wenigstens die Zahl möglicher Anwärter erhöhen. Doch seit siebenhundert Jahren waren die Vier sorgfältig unter dem englischen Hochadel ausgewählt worden. Dane wollte nicht der Erste sein, der mit der Tradition auf diese Weise brach.
Danes Aufmerksamkeit richtete sich auf das außergewöhnlich reizende Dekolletee seiner Frau. Von seinem Platz aus hatte er einen exzellenten Blick.
Er hatte ihr gesagt, sie solle nackt auf ihn warten. Was für ein wunderbarer Einfall das doch gewesen war. Sie vor sich zu haben, entblößt und erregt, mit dem Kerzenlicht wie geschmolzener Glanz auf ihrer Haut.
Er rieb sich den Nacken. Er schmolz gerade selbst ein wenig dahin. Bei Gott, er wünschte, dieses endlose Dinner wäre endlich vorüber, damit er sie in ihr Schlafzimmer tragen und zusehen könnte, wie sie sich entkleidete.
Mit Schrecken stellte er fest, dass er erwog zu gehen, bevor er und die anderen ihr Treffen abgehalten hatten. Bestürzung verjagte die letzten Reste seiner Erregung.
Zuerst die Pflicht. Zuerst, zuletzt und immer.
Selbstverständlich war es eine seiner Pflichten, einen Erben zu zeugen, doch beinhaltete das Zeugen eines Erben nicht notwendigerweise, dass er seine Frau bei einer Dinnerparty in Gedanken auszog.
Entschlossen wandte er den Blick von ihrem Dekolletee.
Die Pflicht rief.
Draußen vor dem Fenster beobachtete ein Mann, was drinnen vor sich ging. Ihm entging nichts, weder die Menge an Wein, die der junge Lord Wallingford in sich hineinkippte, noch die Tatsache, dass Lord Greenleighs Blick immer wieder zum Dekolletee seiner Frau wanderte.
Alles lief wie geplant, wenngleich es ihn etwas beunruhigte, Lord Reardon und seine Frau an der Tafel zu sehen. Was machten die beiden dort?
Es konnte ein Zufall sein; die meisten Männer ihres Ranges kannten einander gut genug, um miteinander zu Abend zu essen. Vielleicht war auch Reardons Frau mit Lady Greenleigh bekannt. Wie dem auch sei. Möglicherweise kannte Greenleigh Reardon nur flüchtig. Jedenfalls hatte der Beobachter kein Zeichen für eine enge Verbundenheit zwischen den beiden entdecken können.
Jedoch hatte Reardon eine Rolle bei Wadsworths Enttarnung gespielt, und es hatte diese Gerüchte über Lady Reardon und jene mysteriöse Gruppe gegeben, das Quartre Royale.
Falls Reardon für die Krone arbeitete, war er heute Abend vielleicht aus demselben Grund anwesend wie der Beobachter.
Er wollte jemanden anheuern.
Unter Umständen war es an der Zeit, die Sache mit der Königin in Angriff zu nehmen. Ein bisschen Gefahr brachte das Blut in Wallung.
Bei all dem beunruhigte es ihn jedoch über alle Maßen, dass er den fünften Gentleman noch nie zuvor gesehen hatte. Der Mann saß mit dem Rücken zum Fenster, aber er hatte ihn
deutlich wahrgenommen, als die Gruppe das Speisezimmer betreten hatte.
Irgendetwas war hier im Gange.
Als hätte er den Blick des Beobachters gespürt, drehte der fünfte Gentleman den Kopf und schaute über die Schulter. Seine scharf geschnittenen Gesichtszüge waren in dem hell erleuchteten Raum gut zu erkennen.
Schnell trat der Beobachter einen Schritt zurück, obwohl der Mann mit größter Wahrscheinlichkeit nur sich selbst und die anderen Gäste im Fensterglas sehen konnte.
Der fünfte Mann winkte einem Diener, der daraufhin um den Tisch trat und die Vorhänge zuzog.
Sei’s drum. Trotz des Unbekannten an der Tafel gab es keinen Grund, dass das Programm für diesen Abend geändert werden
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