Der geheimnisvolle Gentleman
sie sogar an, sehr leise vor sich hin zu summen.
Endlich. Es schien vorbei zu sein.
»… also, das war das erste und einzige Mal, dass er es wagte, darum zu bitten, die Kerzen anzulassen.«
»Hm, hm.« Olivia würde es niemals mehr möglich sein, ihrem Vater in die Augen zu sehen. Niemals.
»Du siehst also, was du alles aushalten musst, Liebes. Natürlich wird es für dich doppelt schwer.«
Doppelt? »Und warum das, Mutter?«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und klopfte ihr voller Sorge den Handrücken. »Weil du vorgeben musst, es zu genießen, du armes Wesen. Ich musste es lediglich tolerieren. Aber du musst deine ganze Kraft aufbringen und ihn davon überzeugen, dass es dir nicht nur gefällt, sondern dass du mehr davon willst.«
Sie fixierte Olivia mit der Intensität ihrer blassen Augen. »Das sind schreckliche Aussichten, ich weiß, aber du musst ihn fest an dich binden, mein Liebes, und du hast nicht viel, was du als Fessel verwenden könntest.«
Musste sie das? Wirklich? Fessel?
Schnell verbannte sie diesen äußerst anregenden Gedanken. »Mutter, ich verstehe dich nicht. Willst du damit sagen, dass er mich nicht lieben wird, wenn ich ihm im Schlafzimmer nicht zu Willen bin?« So unangenehm diese Unterhaltung auch war, so sehr erwärmte sich Olivia doch daran, dass ihrer Mutter derart daran gelegen war, dass Dane und sie glücklich wurden.
Ihre Mutter blinzelte. »Liebe? Wer spricht hier von Liebe? Ich meine Cheltenham! Cheltenham braucht dich! Du musst es tun!«
Olivias Gefühle kühlten sich merklich ab, und sie entzog ihrer Mutter die Hand. »Cheltenham.«
Ihre Mutter blinzelte. »Natürlich Cheltenham. Du meine Güte, würdest du dich einem Mann für weniger hingeben?«
Nein, aber vielleicht für mehr.
»Dann möchtest du, dass ich meinen Mann für Cheltenham verführe?«
Ihre Mutter legte den Kopf schief und lächelte. »Danke, Liebes. Wie reizend es war, diese kleine Unterhaltung mit dir zu führen.« Sie tätschelte Olivias Hand und erhob sich. »Ich muss jetzt zurück zu unseren Gästen.« Und damit war sie verschwunden.
Olivia blieb noch eine Weile im Zimmer und starrte auf das glänzende Klavier, das seit Jahren nicht mehr gestimmt worden war. »Alles für Cheltenham …«
»Wie bitte?«
Olivia wandte sich um und sah Walters Verlobte, nun, seine ehemalige Verlobte, in der Tür stehen.
»Darf ich eintreten, Lady Greenleigh?«, fragte Miss Absentia Hackerman. Die meisten Leute hatten Schwierigkeiten, den Namen der wohlhabendsten Erbin des Landes zu sagen, ohne dabei zu grinsen.
Olivia würde Sir und Lady Hackerman allzu gerne fragen, was sie sich nur dabei gedacht hatten. Ganz offenbar gingen extremer Reichtum und umfassende Bildung nicht immer Hand in Hand. Selbst Walter, dem es nie etwas ausgemacht hatte, wegen des Geldes zu heiraten, hatte mehr als einmal darüber gesprochen, dass er die Anwesenheit seiner Verlobten »in absentia« vorzog.
»Selbstverständlich.« Olivia machte auf dem Sofa Platz und kümmerte sich nicht darum, ob Miss Hackerman tief in die ausgeleierten Rosshaarbezüge sank. »Was kann ich für Euch tun?«
Miss Hackerman betrachtete das Sofa abschätzig, vielleicht lag das auch daran, dass sie nahezu alles auf diese Weise betrachtete, und zog es vor, stehen zu bleiben. Seufzend schickte sich Olivia an, ebenfalls aufzustehen, doch dann wurde ihr bewusst, dass sie nicht die Gastgeberin des Abends war, sondern vielmehr der Ehrengast. Lächelnd glättete sie ihre Röcke und faltete die Hände im Schoß. Sie musste nicht weit hochschauen, um Miss Hackerman in die Augen zu blicken. »Ja, Abbie?«
Miss Hackerman lächelte, aber ihre Augen waren zu Schlitzen verengt. »Ich wollte nur sagen, wie glücklich ich bin, dass Ihr endlich geheiratet habt. Ihr müsst ja so erleichtert sein.«
Falsche Schlange. »Ich bin überglücklich, danke, Abbie«, sagte Olivia würdevoll.
»Das kann ich mir vorstellen. Schließlich ist es Euch gelungen, Euch keinen Geringeren als den Dänen höchstpersönlich zu angeln.« Olivia wusste, dass Dane nach Walters Tod auf Miss Hackermans Liste ganz nach oben gewandert war. Die junge Frau setzte ein falsches Lächeln auf. »Irgendwann müsst Ihr mir erzählen, wie Ihr das angestellt habt.« Natürlich in der Erwartung, jede Menge fauler Tricks zu erfahren. Vom Äußeren her war Miss Hackerman recht attraktiv, und es war keine Ausgabe gescheut worden, sie zu der bestgekleideten jungen Dame der Gesellschaft zu machen.
Aber das war nur
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