Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geheimtip

Der Geheimtip

Titel: Der Geheimtip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
erkannten? Dann war er ein krankenhausreifer Mann. Mindestens!
    Kurz entschlossen riß er sein Dralonjackett herunter. Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Er zog die gelbe Ohrenklappenmütze aus der Tasche und stülpte sie auf. Und weil handlich auf einer Bank ein Sweatshirt lag, ergriff er es und zog es im Galopp über. Das Jackett warf er in die Ecke.
    Wie durch ein Wunder verließ nach Durcheilen eines weiteren Ganges mit dem Schild ›Salida‹ unbehelligt ein mittelgroßer Typ das Stadion, mit gelber Häkelmütze, dunkelweißer Hose und einem weiß-grünen Sweatshirt bekleidet, das auf der Brust die Aufschrift ›Benefica Lisboa‹ trug.
    Egon Meier hatte seine Chance.
    Er sprang in ein Taxi. »Hotel!« schrie er. Seine Stimme schnappte über, und auf den Namen ›Vila Ramos‹, wo Fräulein Buttrich ursprünglich für ihn gebucht hatte, konnte er sich in der Aufregung einfach nicht besinnen.
    »Hotel, Hotel«, rief er, während der Taxifahrer mit einem Affenzahn aus der ›Rua do Dr. Pita‹ in die ›Estrada Monumental‹ einschwenkte, in einer Kurventechnik, die Rüdiger Knulle scherzhaft ›mit einem Ohr im Sand‹ zu nennen pflegte.
    Zu Pallando traute Egon sich nicht, denn auch unter dessen Apricot-Jackett klopfte das Herz eines Fußballfans. Vor allem fürchtete Egon sich vor Kuljowitsch. Der Russe hatte im Stadion einen fanatischen Eindruck gemacht. Und dann waren da noch Pedro und José auf den billigen Plätzen. Die reinsten Mördervisagen, gestand er sich jetzt erst ein.
    Egon dachte nicht nach in diesem Augenblick, doch fühlte er dumpf, daß er Leidenschaften freigesetzt hatte. Er hatte einen So-gut-wie-Sieg, auf jeden Fall ein Unentschieden, gegen einen weltberühmten Gegner vereitelt. Noch schlimmer: Das Spiel konnte für ungültig erklärt und eine Wiederholung angesetzt werden, zu der dann natürlich ›Beneficio Lisboa‹ die beiden Asse schicken würde, die diesmal gefehlt hatten.
    Im Stadion war inzwischen noch mehr geschehen. Kuljowitsch war zwar angenehm in Ekstase. Trotzdem hatte er den Diebstahl des Musterkoffers bemerkt und ebenfalls die Verfolgung des Diebes aufgenommen, wenn auch mit etwas Verzögerung.
    Der Koffer lag ihm am Herzen. Schließlich hatte er schon persönlich erfolglos versucht, ihn zu klauen. Und ihr künftiger Wohlstand hing nicht zuletzt von diesem Ding ab.
    Also spurtete Iwanow Kuljowitsch los, als säße ihm der gesamte KGB im Nacken.
    Als der Dieb die eingebaute Sirene hörte und den Koffer fallen ließ, wobei er aus vollem Hals sämtliche Heilige anrief, war Kuljowitsch so dicht heran, daß er das gute Stück nur lässig aufzuheben brauchte.
    Höchste Zeit, denn der Gang hatte sich mit Polizisten und ihren ziemlich nervösen Hunden gefüllt. Kuljowitsch kletterte über die Barriere, zurück zwischen die total entnervten Zuschauer.
    Das Temperament der Südländer schäumte bereits wie Waschmittel. Man begann, Gäste der Insel, die sonst höchst willkommen waren, zu belästigen. Einem Engländer wurde sein Toupet heruntergerissen, was dazu führte, daß dieser zu seinem Konsulat fuhr und um diplomatischen Schutz bat. Ein Franzose verlor im Gedränge seine dritte, sehr junge Frau und wurde ohnmächtig. Ein Amerikaner filmte die Szene und begann, als ihm die Kamera weggerissen wurde, einen vorschriftsmäßigen Karate-Angriff zur Selbstverteidigung. Ein paar Deutsche mischten kräftig mit. Zu ihrem Glück wußte niemand, daß der Störenfried und Spielverderber, der Inglesias gerammt hatte, ein Deutscher war.
    Egon Meier schaute angstvoll durch die Heckscheibe des Taxis, ob aufgebrachte Schlachtenbummler vielleicht bereits seine Verfolgung aufgenommen hatten.
    In Krimis sah das immer so herrlich aufregend und direkt belebend aus. In Wirklichkeit jedoch war es eine Angstpartie und sonst gar nichts.
    Neben der Angst erfüllte Egon dumpfe Verzweiflung. Er war der Chance so nah gewesen. Nun war sie vertan. Durch seine eigene Schuld.
    Wie hatte sein Boß Pettenkamp gesagt? »Lassen Sie den Koffer nicht aus den Händen, Herr Meier. Er ist die Seele von diesem Geschäft.« Und Dr. Kranzer war entgegen seiner sonstigen Art ganz ernst geworden, als er von dem ›unersätzlichen Muster‹ sprach.
    Natürlich, Patente wurden gestohlen, kopiert, unter Wert verschleudert. So sah also das Ende einer Laufbahn aus, die gerade erst hoffnungsvoll begonnen hatte.
    Der Koffer war weg. Für den korrekten Oberbuchhalter Meier hieß dies, daß er nicht nach Aberlingen zurückkehren konnte.

Weitere Kostenlose Bücher