Der Geheimtip
nicht einmal das Tageslicht zu sehen bekämen. Niemand könne sich wünschen, Kuh auf Madeira zu sein. Doch Stierkämpfe überließe man denen vom Festland. Hier sei Fußball angesagt.
Meier, der in Aberlingen noch nie ein Fußballspiel erlebt hatte und auch im Fernsehen meistens abschaltete, weil Alma sich dabei immer ängstigte, verstand jetzt die Welt nicht mehr. Da tobten und bolzten sie da unten auf dem Spielfeld, foulten, was das Zeug hielt, warfen sich auf den Rasen wie Othello in der Sterbeszene, brachten die Menschen in Ekstase – und hatten noch nicht einmal ein Tor geschossen!
Das aber war doch wohl, wenn Oberbuchhalter Egon Meier noch bis drei zählen konnte, der Sinn dieses Spiels?
Er hätte Pallando gern danach gefragt, aber der wirkte wie hypnotisiert, direkt beängstigend war das. Er griff mechanisch in seine große Tüte mit gesalzenen Erdnüssen, die er eintönig krachend zermalmte, was bei dem Höllenlärm allerdings nicht weiter auffiel.
Die letzte Spielminute war gekommen. Es sah ganz so aus, als hätte ›Machico Funchal‹ das Wunder vollbracht, unentschieden neben Lissabon zu bestehen. Und nun glückte auch noch eine wundervolle, ja geniale Kombination bei Machico.
In diesem Augenblick, und es spielte sich alles blitzschnell und gleichzeitig wie im Zeitraffer und im Weitwinkel ab, schnappte sich ein Halbwüchsiger Egons Musterkoffer, der auf Tuchfühlung an seinem linken Hosenbein stand. Der Räuber wieselte nach links um das Rondell, den schmalen Laufsteg entlang, der die Tribünen vom Feld trennte.
Egon sprang mit einem Schrei hoch, was natürlich überhaupt nicht auffiel, da alle in diesem Augenblick nahenden Triumphes schreiend aufsprangen.
Egon nahm die Verfolgung auf.
Der Dieb war klein und flink. Lange schwarze Haare flatterten beim Laufen wie eine Seeräuberfahne um seinen Kopf. Egon kannte nur einen Gedanken: Du kriegst ihn wieder!!! Und da bot sich natürlich eine Abkürzung an.
Der Dieb lief die Kurve ums Feld aus. Egon setzte zum Spurt querfußballfeldein an. Er dachte sich gar nichts dabei. Sein Verstand war abgeschaltet vor Schreck. Der Instinkt meldete den Beinen: Gerade Strecken sind die kürzesten.
Die Kombination des ›Machico Funchal‹ war, wie gesagt, genial. Die letzte Spielminute. Dem Linksaußen Pepe Inglesias wurde der Ball in günstigster Schußposition und Entfernung vom Tor vor sein rechtes Bein serviert.
Ein Schrei der Erregung ging durch das Stadion, als seien die Massen zu einem einzigen Körper verschmolzen. Da war Egon Meier heran und rammte unversehens den entschlossenen Pepe Inglesias. Der strauchelte, stürzte und verlor das Leder.
Der Schiedsrichter pfiff gellend. Inglesias fiel offenbar in Ohnmacht oder war jedenfalls unfähig, sich zu bewegen. Die Menge explodierte wie ein Mann. Die Torchance war im Eimer.
Der kleine Dieb dachte zuerst, daß die fliegenden Bierflaschen, die Wutschreie und die vorbeizischenden Raketen samt einigen anderen Erscheinungen, die verflucht wie Platzpatronen wirkten, ihm galten. Denn auch er hatte, wie Egon Meier, den Überblick verloren.
Er schlug einen scharfen Haken, um sich von der Treppe aus zwischen die Leute zu mischen. Dabei knallte Meiers Metallkoffer gegen einen Betonpfeiler. Der Mechanismus schaltete sich ein. Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie vorzüglich das Patent ›Schraufa-A1‹ Diebe abschreckte, so war er nun erbracht.
Als die Sirene in seiner Rechten losheulte – bei dem Lärm im Stadion ansonsten unbemerkt –, glaubte der Langfinger an eine Art Zauberkraft. Entsetzt ließ er das jaulende Ding fallen und tauchte in der Menge unter.
Meier hätte nun seinen Koffer aufsammeln können, doch bis dahin kam er gar nicht. Ihm war blitzartig klargeworden, daß die Wut der Massen ihm galt. Ihm allein, Egon Meier aus Aberlingen, der keiner Fliege etwas zuleide tat und ein ordentliches Leben geführt hatte, bis dieser Auftrag ihn aus der Bahn warf.
Sie würden ihn glatt lynchen!
Während Inglesias unter den Bemühungen von Arzt und Kumpels allmählich wieder zum Leben erwachte, um sich sogleich weinend im Gras zu wälzen, verschwand Egon Meier in einem Gang mit der Aufschrift ›Entrada proibida‹, was ›Zutritt verboten‹ hieß. Zu diesem Zeitpunkt ließen solche Vorschriften ihn kalt.
Er erreichte einen Raum, dessen Tür offen stand. Es war eine Garderobe. Sie war leer.
Egon war klar, daß er weg mußte. Raus hier!! So schnell wie möglich!!
Und wenn sie ihn draußen
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