Der gehetzte Amerikaner
erstaunt die Augen auf. »Aber Sie
müssen ja verhungert sein! Warum haben Sie denn um Gottes willen
nichts vom Essen gesagt, als wir noch in meiner Bude in Manningham
waren?«
Er zuckte die Achseln. »Da hatten wir weiß
Gott wichtigere Dinge zu besprechen als uns damit
abzuquälen.«
Sie lächelte. »Na ja, gut –
jedenfalls ist hier gleich um die Ecke ein kleiner Laden. Ich werde
schnell hinlaufen und sehen, was ich für Sie holen kann. Machen
Sie es sich inzwischen bequem. Es wird nicht lange dauern.«
Als sie gegangen war, sah er sich in der
kleinen Wohnung um. Es gab ein großes Wohnzimmer, eine
Küche, ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett und ein Badezimmer.
Er bekam sofort Lust zu baden, drehte beide Wasserhähne weit auf
und begann sich auszuziehen.
Als er sich genußvoll in der Badewanne
wälzte, bis zum Kinn im heißen Wasser und vom heißen
Dampf umwogt, wurde die Tür plötzlich aufgerissen, und eine
kleine Hand kam zum Vorschein, die auf eines der Glasbrettchen ein
Paket ablegte.
»Frühstück in fünfzehn Minuten«, rief Anne und warf die Tür hinter sich zu.
Das Päckchen enthielt einen einfachen
Rasierapparat, Rasierklingen und eine Tube mit Rasiercreme. Er
mußte in sich hinein lächeln und trocknete sich schnell das
Gesicht ab. Als er zehn Minuten später das Badezimmer
verließ, frisch rasiert, mit gekämmtem Haar, das Jackett
übergezogen, fühlte er sich zum erstenmal seit Monaten wieder
als Mensch.
Der Tisch war für zwei Personen gedeckt. Er stand
direkt vor dem großen Fenster, und eine Zeitung lehnte gegen die
Zuckerdose. Er setzte sich und griff begierig nach dem Blatt. Die
Meldung von seiner Flucht stand auf der ersten Seite, unten in der
rechten Ecke. Die Gefängnisverwaltung hatte noch keine
Einzelheiten bekanntgegeben, sondern nur erwähnt, daß er
flüchten konnte. Seine Verurteilung und die Umstände, die
dazu führten, wurden kurz erwähnt, ebenso eine Warnung,
daß er gefährlich sei. Der Gefängnisdirektor von
Manningham hatte auch ein Interview gegeben, in dem er sagte, daß
er sicher sei, Brady weile noch in der Stadt, und man werde ihn bald
wieder gefangennehmen können.
Die Fotografie, die in der Zeitung war, stammte von
seiner Karteikarte. Brady betrachtete sie stirnrunzelnd und fragte
sich, ob zwischen ihm und diesem finsteren Fremden auch nur die
geringste Ähnlichkeit bestand.
»Nein, das sieht Ihnen aber gar nicht
ähnlich«, beruhigte ihn Anne über seine Schulter
hinweg.
»Das ist vielleicht ganz gut so«, sagte er. »Sie werden doch
nicht ewig nur in Manningham nach mir suchen.«
Anne stellte ihm Schinken und Ei vor die Nase sowie
eine Platte voller Toasts. »Ich habe mir sehr große
Mühe gegeben«, meinte sie, indem sie ihm gegenüber
Platz nahm, »und ich hoffe, das sagt Ihrem überseeischen
Geschmack zu!«
Er lächelte. »Absolut keine Beanstandungen.
Ich habe mich seit meiner Knabenzeit, als ich noch in der Bucht fischen
ging und dann am frühen Morgen heimkehrte, nicht mehr so hungrig
gefühlt.«
»Wo war das?« fragte sie ihn.
»In der Nähe von Kap Cod«,
erzählte er. »Mein Vater hatte gleich zur Rechten an der
Küste eine Farm.«
»Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal die NeuEngland-Staaten kennenzulernen«, sagte sie.
»Wenn Sie nicht unseren Herbst gesehen haben,
haben Sie nicht gelebt«, schwärmte er. »Es gibt wohl
nichts Schöneres auf Gottes weiter Welt als dieses
Farbenspiel!«
Sie zündeten sich Zigaretten an und starrten aus
dem Fenster. Die hellen Regentropfen fielen durch die hohen Bäume
des Parks, und Anne und Brady konnten das leichte Rascheln der sich
drehenden und fallenden Blätter vernehmen. Brady mußte an
seine Heimat denken.
»Möchten Sie eigentlich eines Tages wieder nach Hause zurückkehren?« fragte sie ihn sanft.
Er nickte. »Ja, sonderbar… Eigentlich
wollte ich nach meinem Kuwait-Job heim. Ich hatte von meinem Schwager
einen Brief erhalten. Er ist Architekt, der Seniorchef in einer
großen Bostoner Firma. Er sähe es gern, wenn ich mit bei ihm
einstiege, schrieb er.«
»Vielleicht werden Sie es tun, wenn Sie diese Sache hier hinter sich gebracht haben!«
Er drehte sich zu ihr um und lächelte. »Es kann schon sein,
daß Sie recht haben – aber wenn ich hier auf meinem
Hinterteil sitzen bleibe, erreiche ich nichts. Ich sollte besser etwas
unternehmen, als hier Luftschlösser bauen!«
»Seien Sie kein Narr.« Beruhigend
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