Der gehetzte Amerikaner
legte
sie ihm ihre Hand auf den Arm. »Sie können nicht
längere Zeit durch London laufen und erwarten, daß man Sie
nicht erwischt. Früher oder später werden Sie, wenn Sie
gerade um eine Ecke biegen, direkt in die Arme eines übereifrigen
Polizisten laufen, der gerade auf Streife ist und von schneller
Beförderung träumt. Was würde also viel dabei
herauskommen?«
»Was schlagen Sie dann vor?« fragte er
ungeduldig. »Ich werde für einen Tag einen Wagen mieten. Das
kann nicht viel kosten, und um die Ecke befindet sich gleich eine
Garage. Es ist bestimmt sicherer für Sie, in einem Wagen durch
London zu fahren als zu laufen.«
Er ergriff eine ihrer Hände. »Ich beginne
mich zu fragen, was ich wohl ohne Sie anfangen würde!«
Sie errötete und erhob sich mit einem leichten
Lächeln. »Schmeicheleien helfen Ihnen jetzt nicht. Aber wenn
Sie unbedingt etwas für Ihren Lebensunterhalt tun möchten,
können Sie hier den Tisch abräumen, während ich mich
wegen eines Wagens erkundigen gehe.«
Nachdem sie hinausgegangen war, saß er noch eine
Weile da, rauchte seine Zigarette zu Ende und dachte über Anne
nach. Dann trat er ans Fenster, hörte sie die Treppen
hinuntersteigen, sah sie den Bürgersteig entlanggehen und
verspürte plötzlich eine schmerzliche Leere im Innern. Ihm
wurde in diesem Augenblick klar, daß Anne ihm etwas bedeutete.
Er räumte den Tisch ab, und als er gerade mit dem
Abwaschen des Geschirrs fertig war, kam Anne zurück. »Na,
das ging aber schnell«, begrüßte er sie.
Sie lächelte. »Oh, die vom
Wagenverleih kennen mich. Ich habe schon mehrere Male einen Wagen
gemietet, seit ich hier wohne. Übrigens habe ich mich nach der
Dell Street erkundigt. Sie liegt in der Nähe vom Regent's Park.
Wenn man den Verkehr in Betracht zieht, würden wir wohl nicht mehr
als zwanzig Minuten brauchen, um dorthin zu gelangen.«
Er runzelte die Stirn und packte sie fest am Arm.
»Es ist nicht nötig, daß Sie mitkommen. Ich weiß
nämlich noch nicht, in welche Sache ich mich da einlasse!«
»Der Wagen läuft auf meinen Namen«,
entgegnete sie ihm ruhig, »und entsprechend den
Versicherungsbedingungen kann ihn niemand anders fahren! Jetzt stecke
ich also bis zum Hals mit drin, Matt. Sie werden sich schon an den
Gedanken gewöhnen müssen.«
Er seufzte. »Okay, Anne. Sie haben gewonnen. Gehen wir also!«
Der Wagen war ein kleiner Morris, genau richtig
für den starken Londoner Verkehr. Sie fuhr ihn auch sehr gut, nahm
den Weg durch den Hauptverkehrsstrom der Bayswater Road und bog dann in
die Marylebone Road zum Regent's Park ein.
Ohne große Schwierigkeiten fanden sie die Dell
Street, eine ruhige Seitenstraße am Park. Sie bestand aus hohen
viktorianischen Häusern, die inmitten kümmerlich aussehender
Gärten standen.
Das Anwesen von Professor Soames war zweifellos sehr
eindrucksvoll. Die flachdachigen Anbauten an der rechten Seite des
Hauses sahen so aus, als ob sie erst kürzlich errichtet worden
seien.
Das große doppelflügelige Tor stand offen.
Anne fuhr jedoch vorbei und parkte den Wagen in einer kleinen Sackgasse
wenige Meter weiter.
Durch das Rückfenster las Brady die
Inschrift eines vergoldeten Schildes, das an der Mauer neben dem Tor
angebracht war. Sie lautete: Deepdene Pflegeheim, und darunter stand:
Professor H. Soames – Naturheilkundliche Behandlung.
»Scheint ein toller Laden zu sein«, meinte Brady anerkennend.
Anne nickte und stellte den Motor ab.
»Und was nun?«
Achselzuckend erwiderte Brady. »Ich gehe einfach
hinein und bitte, ihn sprechen zu dürfen. Ich werde vorgeben, ein
angemeldeter Patient zu sein. Das ist der einzige Weg, wie ich etwas
erreichen kann.«
»Und dann?«
Brady lächelte dünn. »Ich hoffe, er
wird vernünftig sein. Wenn er solch einen gutgehenden Laden
betreibt, dann ist ein Skandal das letzte, was er gebrauchen
kann!«
Entschlossen schüttelte sie den Kopf.
»Das gefällt mir nicht. Vielleicht ist er
heute nicht zu sprechen? Es kann doch sein, daß er nicht in der
Stadt ist. sondern außerhalb.«
»Was schlagen Sie mir also vor?«
»Das ist doch ganz einfach: Zuerst gehe ich
hinein und bitte, vorgelassen zu werden. Wenn er wirklich zu sprechen
ist, wird mein Vorgehen nicht schaden. Wenn er aber nicht da ist,
können wir später zurückkommen.«
Er wollte gerade den Mund aufmachen, um ihr zu
widersprechen, doch sie hinderte ihn daran, indem sie ihm zart die Hand
auf die Lippen
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