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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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aus.
    »Nein, er hat ihn mir am Telefon vorgelesen.« Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, »… und ich weiß, dass du das Original dabeihast.«
    »Mein Angebot von gestern Abend gilt«, sagte Sascha schroff. »Wenn du nicht endlich mit offenen Karten spielst, kannst du nach Hause fliegen.«
    Sie zog Bluse und BH aus und begann sich zu waschen. Er legte sich wieder auf das Bett, betrachtete ihren makellosen Rücken. Unter dem rechten Schulterblatt hatte sie ein ovales Muttermal. Ein kleines Auge, das ihn ansah.
    »Ich war freie Journalistin, hier in Moskau«, begann sie. »2004 habe ich mich mit Alexei Alexejewitsch Rybaltschenko beschäftigt, einem Pianisten, der 1948 das Land verlassen hatte. Mein Vater war ein großer Verehrer gewesen, und ich wollte einen Artikel über den Pianisten schreiben. Ich recherchierte im Ausland, wie seine Karriere nach der Flucht verlaufen war, aber ich konnte nichts finden. Er tauchte nirgendwo auf. Kein Wohnsitz, keine Konzerte. Nichts! Nicht in Europa, nicht in den USA oder Japan, nirgendwo. Ich wandte mich an das Konservatorium und äußerte den Verdacht, dass Rybaltschenko das Land vielleicht nie verlassen habe.«
    Sie trocknete sich ab und zog ein frisches T-Shirt über. Das kleine Schulterauge verschwand. Sascha bedauerte das.
    »Zwei Tage später war meine Wohnung durchsucht, mein Computer und alle Unterlagen über Rybaltschenko waren verschwunden. Ich arbeitete zur gleichen Zeit an Auftragsreportagen für zwei Zeitungen. Die Aufträge wurden mir entzogen, und ich bekam in den Wochen danach auch keine neuen.«
    Sascha stützte seinen Ellbogen auf, hob den Kopf und versuchte herauszuhören, ob sie log. Das Handtuch immer noch in der Hand, setzte sie sich neben ihn.
    »Ich hatte Freunde in Almaty und konnte dort für eine kleine Zeitung arbeiten, aber ich habe mich auch weiter mit Rybaltschenko beschäftigt. Vor zwei Jahren bekam ich einen Hinweis in Richtung Workuta. Ich fuhr hin und traf auf ehemalige Häftlinge, die geblieben waren und sich dort angesiedelt hatten. Immer wieder fiel der Name Sergei Sergejewitsch Domorow. Eines Abends lernte ich einen alten Mann kennen, den alle Stas nannten. Musiker, sagte der, habe es einige im Lager gegeben, er konnte sich aber nur an den Namen Grenko erinnern.«
    Sascha setzte sich auf. »Was hat er gesagt?«
    »Nachdem der Wodka an dem Abend reichlich geflossen war, erzählte er, Grenko sei der einzige Zivilist in ihrer Brigade gewesen. Alle anderen seien 1947 zusammen mit ihrem Offizier Juri Schermenko nach Workuta gekommen.«
    »Hat er sonst noch was über meinen Großvater gesagt?«
    »Nein. Ich habe nicht weiter gefragt. Damals war der Name Grenko für mich ja nicht von Bedeutung.«
    Für einen Moment saßen sie stumm. Dann reichte sie ihm das Handtuch, und Sascha nahm Zahnbürste und Rasierapparat aus seinem kleinen Koffer.
    »Wie ist dein Kontakt zu Reger zustande gekommen?«, fragte er.
    »Regers Kontaktmann in Almaty. Er ist ein Freund von mir und weiß von meinen Recherchen über Rybaltschenko. Als Reger ihn anrief und sagte, dass es um einen Musiker geht, der in Workuta war … Na ja, er meinte, dass ich da die Richtige bin.«
    Sascha ging zum Waschbecken und wusch sich.
    »Meschenow?«, fragte er. »Was weißt du über Meschenow?«
    »Er war Professor am Konservatorium. Starb Anfang der sechziger Jahre und wurde auf dem Nowodewitschi-Friedhof beigesetzt, ein Ehrenfriedhof, auf dem nur verdiente Russen einen Platz finden. Mehr weiß ich nicht.«
    Sie stellte sich hinter ihn und nickte ihm im Spiegel zu. »In der Halle des Konservatoriums gibt es eine Galerie der verdienten Schüler und Lehrer. Er hat dort einen Platz.«
    Sie stand dicht hinter ihm. Er spürte ihren Atem auf dem Schulterblatt und gestand sich ein, dass er ihre Nähe mochte.
    Leise sagte sie: »Es geht mir nicht nur um Regers gute Bezahlung. Ich versaure als Lokalreporterin in Almaty, und ich habe gehofft … ich dachte … Der Brief ist für Domorow unbezahlbar. Du könntest an die Herausgabe noch eine Bedingung knüpfen.« Sie räusperte sich. »Für Domorow wäre es ein Leichtes, mir einen Neustart hier in Moskau zu verschaffen.«
    Dann wandte sie sich ab. Er blieb einige Sekunden unbeweglich stehen, schmeckte der Vertrautheit des Augenblicks nach und genoss diese Sicherheit, mit der er wusste, dass sie die Wahrheit sagte.
    Er zog das Polohemd vom Vortag wieder über und dachte daran, dass er im Laufe des Tages zwei oder drei T-Shirts kaufen müsste.
    Bevor

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