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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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gewesen, und Meschenow hatte damals gesagt, er habe einen guten Kontakt zum Ministerium. War das sein zukünftiger Schwiegersohn gewesen? War Kopejew damals schon …?
    Und ganz unvermittelt mischten sich Erinnerungen an Domorows Besuch in ihre Gedankengänge. Sie hörte ihn sagen: »Kurasch hat seine Anweisungen direkt aus dem Ministerium bekommen.«
    Sie schluckte an einer leichten Übelkeit, hob den Kopf und hielt das Gesicht in die Sonne. Es würde sich aufklären. Sie hatte den Brief, und damit konnte sie Sonja beweisen, dass Ilja Unrecht geschehen war.
    Eine Viertelstunde vor der Zeit ging sie hinüber zum Verwaltungsgebäude und klopfte erneut im Sekretariat an.
    Die Frau sah ihr entgegen und sagte kurz: »Sonja Michajlowna wohnt an der Kotelnitscheskaja.«
    Galina hatte keine Ahnung, wo das sein sollte, aber sie bedankte sich und ging davon. Kotelnitscheskaja! Die Stadt hatte sich in den letzten dreizehn Jahren sehr verändert, das hatte sie schon am Bahnhof und auf ihrem Weg heute Morgen bemerkt. Edita würde sicher wissen, wohin sie musste.
    Als sie am Abend »Kotelnitscheskaja« sagte, machte Edita große Augen. »Das ist der Kotelnitscheskaja-Wolkenkratzer«, sagte sie fast atemlos. »Sie wohnt im Kotelnitscheskaja-Wolkenkratzer.«
    Galina schluckte. Sie erinnerte sich. Damals war dieser Wolkenkratzer an der Mündung der Flüsse Moskwa und Jausa noch nicht fertig gewesen.
    »In diesen Wohnungen«, und Edita flüsterte jetzt, »da leben nur besonders verdiente Bürger. Dieser Kopejew kann kein einfacher Beamter sein.«
    Galina schwieg. Wieder schwappte in sanften Wellen eine Ahnung in ihr Bewusstsein. Eine Ahnung, die sie nicht greifen konnte, die sich jedem klaren Gedanken entzog, wie ein leichtes Zittern, das man nicht beherrscht.
    Auch Edita hatte Neuigkeiten. Ein Freund hatte sich gefunden, der Domorow kannte. »Er wird ihm sagen, dass du hier bist und mit ihm sprechen möchtest.«
    An diesem Abend musste Edita ins Theater und ihren Dienst als Garderobiere versehen. Galina schlief früh und zufrieden auf dem Sofa ein. Es lief doch alles gut. Morgen würde sie Sonja aufsuchen, und Sergei Sergejewitsch Domorow würde sich vielleicht auch melden.
    Gleich morgens fuhr sie mit der Metro ans Flussufer. Als sie vor dem Kotelnitscheskaja-Wolkenkratzer stand, war sie für einen Moment eingeschüchtert. Der Turm wuchs breit und mächtig in das Blau des Himmels, und die Seitengebäude wirkten wie die ausgebreiteten Flügel eines riesigen Vogels.
    Die Decke der Eingangshalle ruhte auf Marmorsäulen, Marmor auch an den Wänden.
    Sie musste ihren Ausweis vorlegen, angeben, wen sie besuchen wolle und warum. Der Mann gab ihr den Ausweis zurück und musterte sie kritisch. Sie war ordentlich, aber ärmlich gekleidet. Sie dachte: Leute wie ich verkehren hier nicht.
    »Sonja Michajlowna Kopejewa«, sagte sie. »Ich bin eine Freundin und möchte sie besuchen.«
    Der Mann ging hinter einen Tresen und telefonierte. Sie hörte nicht alles, aber einmal sagte er: »Jawohl, Genosse Kopejew«, und dann: »Selbstverständlich, Genosse Kopejew, ich kümmere mich darum.«
    Dann kam er auf sie zu und bat sie, in einer Sitzgruppe am Ende der Halle Platz zu nehmen.
    Später konnte sie nicht erklären, warum sie tat, was sie dann tat. Es war etwas in seinem Blick gewesen, etwas feindlich Lauerndes. Es war etwas in der Art gewesen, wie er sie zu der Sitzgruppe geleitet hatte. Alles an ihm erinnerte sie an die Männer, die sie dreizehn Jahre zuvor abgeholt hatten.
    Der Mann ging zurück hinter den Tresen und telefonierte erneut. Er saß mit dem Rücken zur Halle. Ihr Herz raste. Sie stand auf, schlich sich an der äußeren Wand entlang. Der Marmor, daran erinnerte sie sich später genau, strahlte Kälte aus. Als sie den Eingang erreichte, rief der Mann hinter ihr her, sie solle stehen bleiben.
    Sie rannte los. Ohne Ziel rannte sie die Straße entlang, konnte nur denken: Nicht noch einmal. Nicht noch einmal. Sie wusste nicht, wie lange sie so gelaufen war, aber als sie endlich innehielt, stand sie auf einem Platz. Gegenüber lag die Metrostation Taganskaja. Atemlos kramte sie einige Kopeken aus ihrer Tasche und kaufte an dem Schalter eine Fahrkarte. Galina meinte, die Alte, die ihr die Karte durch die kleine Öffnung in der Glaswand zuschob, mustere sie misstrauisch. Eilig betrat sie die Metrostation, stellte sich auf die steile, unendlich lange Rolltreppe.
    Auf der Mitte sah sie sich noch einmal um. Hinter ihr stand ein Milizionär. Er

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