Der Geist des großen Büffel
Stier blickte unseren Freund wild an. „Stinkende Kröte, du wirst am
Marterpfahl enden!“ schrie er, außer sich vor Wut.
„Schließe
Frieden zwischen deinem Volk und meinem. Gib mir Zitternde Feder zur Frau!“
„Eher
soll sie sterben!“ brüllte Kleiner Stier.
Da
rief unser, Freund: „Häuptling Großer Büffel, steh mir bei!“ Sein Pfeil
schnellte vom Bogen, ich hörte das Sirren, sah, wie er Zitternde Feder über dem
Herzen traf. Ohne einen Laut stürzte sie zusammen.
Neben
mir tat es einen dumpfen Schlag: da lag Onkel Rab am
Boden und jammerte: „Wäre ich kein Gespenst, würde ich jetzt ohnmächtig. Und da
wäre mir wohler!“
Onkel
Berni paffte so heftig, daß ich ganz eingehüllt wurde vom Tabaksqualm und
husten mußte, während Tante Turkie nur leise ihre
Brillenkette klingeln ließ.
Im
Lager stürzten sich die Kalbfell-Indianer auf Häuptling Blinde Kuh, der nun
waffenlos dastand, aber auch keinen Versuch machte, sich zu wehren.
Trotzdem
wälzte sich eine wilde Meute über ihn. Sie begruben ihn unter ihren sehnigen,
nackten Leibern, sie schlugen ihn, rissen ihn an den Haaren — ich sah nur ein
zuckendes Knäuel.
Häuptling
Kleiner Stier aber beugte sich über seine Tochter. Als er sich wieder
aufrichtete, wirkten seine Gesichtszüge versteinert. Jetzt traten übrigens auch
der Tödliche Colt und der Große Kojote aus einem Zelt.
Häuptling
Kleiner Stier jammerte: „Zitternde Feder spricht nicht mehr zu mir. Mein
Augenlicht ist mir genommen. Die Frauen sollen sie ankleiden und schmücken zur
Totenfeier. Doch vorher soll ihr feiger Mörder am Marterpfahl leiden. Hört auf,
ihn zu schlagen. Bindet ihn. Seine Schreie werden Balsam für mein Herz sein...“
Es
geschah, was der Häuptling befohlen hatte. Während die Hände unseres Freundes
Blinde Kuh auf seinem Rücken zusammengebunden wurden, während andere Krieger einen
sorgsam abgeschälten Stamm herbeischleppten und nahe den Flammen in den Boden
rammten, betteten die Frauen Zitternde Feder auf eine Bahre, stimmten
Trauergesänge an, schmückten sie mit Blumen und legten Felle und bestickte
Mokassins neben sie, damit sie nicht nackt und schmucklos zum „anderen Ufer“
käme.
Dann
trug man die Bahre so nahe an das Feuer, daß sie von dessen Schein wie in Gold
getaucht wurde.
„Sieh,
um was du mein Alter ärmer gemacht hast“, sagte Häuptling Kleiner Stier düster
zu Blinde Kuh, der bereits hochaufgerichtet und vielfach verschnürt am Pfahl
stand.
„Du
hast es gewollt“, antwortete dieser bitter.
Da
wendete sich Häuptling Kleiner Stier ab.
Ich
hoffe, keiner meiner Leser erwartet von mir eine genaue Schilderung all der
Scheußlichkeiten, die unser Freund Blinde Kuh am Marterpfahl zu erdulden hatte.
Ich wollte mich, erfüllt vom Interesse eines Wildwestforschers, zum Zusehen
zwingen, vermochte es aber doch nicht, als man die Haut meines roten Bruders
mit Holzspänen spickte, Lederschnüre daranband und an
ihnen riß; als man ihn mit glühenden Scheiten brannte, Messer auf ihn warf, bis
er über und über
blutete.
Da wendete ich mich ab und setzte mich verstört an den Wagen. Und hier
verwandelte sich mein Schmerz in Erstaunen. Ich bedeutete Cookie, er möge die
Ohren wieder öffnen. Gemeinsam hörten wir alle den vollen, tönenden Gesang des
Häuptlings, seine mächtige Stimme, die klang wie eine Orgel in den Bergen. Er
pries die Sonne, die Sterne, das Wunder der Erde, das Glück der Liebe, er
feierte die Schönheit der Zitternden Feder, er sang vom Tod und vom „Gang über
den Hohen Pfad an das andere Ufer“...
Häuptling
Blinde Kuh sang mit der Stimme der drei Bären. Noch nie hatten die
Kalbfell-Indianer Ähnliches vernommen. Es nahm ihnen die Kraft zu weiteren
Peinigungen. Einer nach dem andern zog sich scheu zurück. Als meines Freundes
Stimme matter wurde, ohne von ihrer Schönheit einzubüßen, saß Häuptling Kleiner
Stier in sich zusammengekauert, sehr einsam, sehr allein am Feuer und starrte
seinen Gegner an. Seine Augen waren so weit geöffnet wie — ich vermute es —
sein Herz. Er wirkte verändert, verwandelt. Dann schwieg Häuptling Blinde Kuh.
Er schloß die Lider. Sein Kopf sank ihm auf die Brust. Und Kleiner Stier
schwieg auch, lange, sehr lange...
Aber
endlich raffte er sich auf und befahl: „Legt diesen Sänger auf die Bahre neben
meine Tochter. Sie ist nun seine Squaw, und er ist nun ihr Mann. Gemeinsam
werden sie die große Wanderung antreten.“
Ich
war tief gerührt. Und Onkel Rab gab
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