Der Geist des Highlanders
seine Tafel, auf der tatsächlich ein schön geschriebener Text stand. Connor schien es jedoch unangenehm zu sein. Es sah so aus, als ob er gerade lesen lernte.
»In Ihrem Schloss gab es vermutlich nicht viele Bücher«, sagte sie. »Und Sie hatten wahrscheinlich sowieso keine Zeit zum Lesen.«
Sie sah ihn von der Seite an. Das war ihr erster Fehler.
Auf einmal stellte sie fest, dass dieser Mann sie neugierig machte. Wer war er? Was trieb ihn an, außer dem Bedürfnis, jeden McKinnon, dem er begegnete, anzugreifen?
Wieso gab es auf seinem Schloss nur Männer und meilenweit keine einzige Frau?
Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Ihr starrt mich an.«
»Oh«, sagte Victoria blinzelnd. »Entschuldigung.«
Seine Augen waren grau, stellte sie fest. Grau wie das stürmische Meer bei Thomas’ Haus in Maine. Sie kannte dieses Grau gut, weil sich an dem Tag, als sie auf dem Weg zurück nach Manhattan gewesen war, ein schrecklicher Sturm zusammengebraut hatte. Es war ein sehr unruhiger Flug gewesen.
Ob das wohl etwas zu bedeuten hatte?
»Wir sind uns noch nicht einmal richtig vorgestellt worden«, sagte sie.
Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Wie bitte?« - »Äh, ich bin mir nicht sicher, wie ich Sie anreden soll«, erklärte sie. »Obwohl diese Förmlichkeiten jetzt vermutlich keine Rolle mehr spielen, wo Sie mich schon schreien gehört haben«, fügte sie hinzu.
Er blickte sie einen Moment lang schweigend an, wobei er wahrscheinlich überlegte, wie er dieser Irren am besten entkommen konnte, dann runzelte er die Stirn.
»Ich bin ein Laird und bin es gewohnt, mit >Mylord< angesprochen zu werden«, sagte er. »Aber da Ihr nicht zu meinem Clan gehört, könntet Ihr MacDougal zu mir sagen.«
»Wie wäre es mit Laird MacDougal?«
Er nickte. »Und ich werde Euch mit Mistress McKinnon ansprechen, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
Es gab Schlimmeres. »Nein, das ist in Ordnung. Nun gut, Laird MacDougal, ich mache jetzt meiner Großmutter Tee, und dann gehe ich wieder ins Wohnzimmer.« Wieder machte sie den Fehler, ihn anzublicken. »Sie können ja Ihre Bücher nehmen und mitkommen, wenn Sie möchten«, sagte sie. Sie hörte selber, dass ihre Stimme ganz atemlos klang.
Aber wer konnte ihr das schon verübeln? Sie saß neben einem echten Laird, dessen riesiges Breitschwert neben ihm am Tisch lehnte. Da konnte man durchaus ein wenig kurzatmig werden.
»Ich denke darüber nach«, erwiderte er.
Sie beobachtete jedoch aus den Augenwinkeln, wie er anfing, alles auf dem Tisch zusammenzuräumen. Als der Tee fertig war, war auch er bereit, sich ins andere Zimmer zu begeben.
»Mrs Pruitt ist doch nicht da, oder?«, fragte er misstrauisch.
»Ich glaube, sie ist mit ihrer Ausrüstung beschäftigt«, sagte Victoria. »Ich würde mir wegen ihr keine Sorgen machen.«
»Ihr vielleicht nicht, aber ich«, versetzte er.
»Ich verstehe Sie ja, aber Sie können sich entspannen. Sie sitzt nicht bei uns.«
Er folgte ihr ins Wohnzimmer, und sie seufzte erleichtert auf, als sie das Tablett auf dem Couchtisch abstellte, ohne etwas verschüttet zu haben. Seine Nähe verunsicherte sie.
»Ach, Laird MacDougal«, sagte Mary lächelnd, als er hereinkam. »Wie schön, Euch zu sehen. Oh, Ihr habt Euch etwas zur geistigen Betätigung mitgebracht. Zum Lesen fehlt einem stets die Zeit, nicht wahr?«
Victoria wunderte sich immer wieder darüber, wie schnell ihre Großmutter mit Fremden zu einem vertrauten Umgang fand. Da sie in Grannys Zimmer auf einer Klappliege schlief, war sie sich ziemlich sicher, dass die alte Dame sich nicht mitten in der Nacht davonschlich, um sich mit den Gespenstern zu treffen. Andererseits konnte es natürlich sein, dass sie sich so leise bewegte, dass Victoria gar nichts davon mitbekam.
»Ja, man hat nie genug Zeit«, stimmte Connor ihr zu. »Es wäre mir schon eine große Hilfe, wenn ich die blöden Wörter überhaupt lesen könnte.«
»Fragt doch Vikki, ob sie Euch nicht helfen kann. Ich glaube, sie hat heute Nachmittag nichts vor, und es macht ihr sicher Vergnügen. Oder, Liebes?«
Victoria hätte am liebsten etwas nach ihrer Großmutter geworfen. Ständig versuchte sie, ihre Enkelin unter die Haube zu bringen. Victoria war es bis zum heutigen Tag noch nicht gelungen, ihren Namen und ihr Profil aus allen Partnervermittlungen im Internet zu entfernen, bei denen Granny sie angemeldet hatte.
»Ja, ich helfe gerne«, sagte Victoria beinahe gegen ihren Willen.
»Dann trinke ich jetzt
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