Der Geist des Nasredin Effendi
Ich möchte schon von dem euren trinken!«
Von diesem Tag an lernte Nasreddin lesen und schreiben, und, zu seiner Verwunderung, diese Hundertzöpfige, die im fernen Taschkent etwas studierte, was mit noch mehr Baumwolle zu tun hatte, hätte einen guten Chodscha abgegeben. In seiner einsamen Reihe der Baumwollsträucher ließ Nasreddin tagtäglich in seinem Kopf die Buchstaben aufmarschieren, sich zu Worten formen. Nur die schwere Hand, über die sich Nasreddin nach wie vor wunderte, wollte gar nicht so flott, wie er es wünschte und es ihr auch befahl, diese Buchstaben flüssig und zusammenhängend auf das Papier bringen. Es schien, als sei es dieser Hand ungewohnt, eine solche Arbeit zu verrichten. Oftmals saß Nasreddin und betrachtete sie, wenn er übte, und manchmal war ihm, als sei es nicht seine Hand…
So kam es, daß Nasreddin fast an jedem Tag die beiden Frauen aufsuchte, um seine Hausaufgaben vorzuweisen, neue in Empfang zu nehmen, mit Sewara zu lesen oder das Schreiben, das dann doch zunehmend flotter ging, zu üben. Und es machte ihn stolz, wenn sie ihm bestätigten, er sei bei weitem der gelehrigste Schüler, der je in Urgentsch und Umgebung lesen und schreiben gelernt hatte. Und schon sehr bald, noch bevor Sewaras Ferien zu Ende gingen, konnte er jeden beliebigen Text zusammenhängend entschlüsseln. Mehr und mehr bereitete es ihm Vergnügen, das Lesen, und daß er dabei, sooft er wollte, Gusals Nähe suchen konnte. Sie selbst war zunehmend zutraulicher geworden, sie verbarg das Gesicht nicht mehr hinter dem Tuch. Einigemal hatte sie ihn sogar ins Haus gebeten, wenn das Wetter einen Aufenthalt auf dem Hof verbot.
Nasreddin verbrachte so völlig ausgefüllte Tage. Er gönnte sich keine ungenutzte Stunde, ging zum Wochenende auch mit den Brigaden der freiwilligen Helfer ins Feld, ebenso wie Sewara. Und war er nicht in der Baumwolle, saß er über seinen Büchern oder übte in Gesellschaft der beiden Frauen. Sein Logis suchte er nur zum Schlafen auf, war so dem Spott seines Zimmergenossen meist nur morgens ausgesetzt, nach dem Aufstehen. Aber da alles Gehänsele von Nasreddin abfiel, gab jener es alsbald auf, tat aber alles dazu, daß der Ruf Nasreddins als Narr und Pantoffelheld und als Sklave der leichtsinnigen Gusal unter den Leuten gefestigt wurde; denn Nasreddin hatte begonnen, das Haus der Gusal, den Zaun und sogar den Brunnen zu reparieren…
Selten dachte Nasreddin an seine ersten Erlebnisse in dieser neuen Welt, an die Reifendiebe, den Vorsitzenden des benachbarten Kolchos »Neunter Mai« oder an die Miliz, mit der jener gedroht hatte. Öfter kam ihm anfangs die Frau im roten Auto in den Sinn. Aber als jene sich nicht mehr sehen ließ, hielt er diese Begegnungen doch für einen Zufall, und sie schwanden aus seiner Erinnerung.
In dieser Harmonie verliefen Nasreddins Tage, bis Sewaras Ferien vorüber waren. Schlagartig mit diesem Tag verschloß sich Gusal wieder vor ihm, als hätten sie nie ein freundliches Wort miteinander gesprochen.
Am Morgen dieses Tages hatte sich Sewara, die Hundertzöpfige, verabschiedet, hatte ihm an der Straße einen Kuß in den Bart gedrückt, ihn dann angesehen und plötzlich ganz ernst gesagt: »Wenn du sie magst, Nasreddin, die Mutter, mußt du Geduld haben. Sie hat viel durchgemacht, und die Menschen sind nicht freundlich…« Und da war sie in das Auto gestiegen, das sie mitnahm zur Hauptstraße, von wo aus sie mit Autobus und Flugzeug nach Taschkent reisen würde…
Schon am Abend ließ sich Gusal, als er den Esel versorgte, überhaupt nicht mehr blicken. Ins Haus einzudringen, verbot ihm der Anstand. Aber auch Sewaras Worte, die sie ihm am Morgen so eindringlich zugeraunt hatte, hätten ihn zurückgehalten.
So sahen dieser Abend und ein erstaunter Igor Josephowitsch einen niedergedrückten Nasreddin, einen, der sich zwar scheinbar intensiv mit seinen Büchern befaßte, dessen Gedanken jedoch, das verriet der immer wieder abschweifende Blick, nicht bei den Buchstaben und Sätzen auf den Seiten weilten… Immer öfter stellte sich Nasreddin die Frage, wie aber soll es weitergehen?
Nicht lange ließ ihn Igor so gewähren, alsbald begann er wieder zu spötteln, diesmal in anderer Richtung, und jetzt ging es Nasreddin wohl auf die Nerven. Aber beherrscht genug, ließ er es sich nicht anmerken.
Die Tage wurden öde. Nasreddin vergrub sich ins Leben, nahm das Neue in sich auf. Aber diese Freude wie zuvor machte es nicht. Schließlich mußte er
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